Dohlenflug
sie
Tina Hohenauer huckepack genommen, um rascher voranzukommen, aber die
Verwundete hätte das Geschüttel nicht ausgehalten, und sie zurückzulassen
kam natürlich ebenso wenig in Frage – was nicht hieß,
dass sich Kotek solche Gedanken nicht aufdrängten. Ein Heuchler, der
in einer so lebensbedrohlichen Situation nur an die edle Selbstaufopferung
für andere denkt.
Hohenauer blieb stehen.
»Wenn ich hier bleibe, kommt ihr schneller –«
»Vergessen Sie es«,
schnitt ihr Kotek das Wort ab. »Allein bleiben Sie auf keinen Fall
zurück. Ich bleibe bei Ihnen, und Sie, Amanda, gehen weiter und
verstecken sich in den Seitenstollen. Unsre Retter sollten schon unterwegs
sein.«
»Und werden dann zwei
Leichen finden«, schaltete sich Amanda Häuslschmied trocken
ein, ging dabei aber weiter. »Wegener hat doch nur noch einen
kleinen Trumpf in der Hand«, sagte sie. »Er kann sein
Inkognito noch für ein paar Stunden wahren, aber er wird keine
Sekunde zögern, euch im Vorbeigehen zu erschießen. Dann wird er
mich einholen, mir das Goldversteck aus dem Fleisch schinden und mit ein
oder zwei Barren über Kolm-Saigurn abhauen. Also, reißt euch
gefälligst zusammen!«
Während dieses Appells
hatte sie sich nicht einmal nach ihnen umgewandt. Kotek hasste sie dafür
und sah in ihr – nicht von ungefähr – wieder die Gattin
des SS-Scharführers. Aber auch dieses Bild änderte nichts daran,
dass die alte Frau recht hatte. Die Idee, auf Wegener zu warten wie ein
Schaf auf den Schlächter, war ebenso grotesk, wie ihm weismachen zu
wollen, Jacobi & Co. wüssten über seine Identität
Bescheid. Wahrscheinlich würde er sie dann erst recht umbringen.
Hohenauer taumelte wie eine
Betrunkene vorwärts. Es half nur wenig, dass Kotek sie am linken Arm
stützte. Hinter sich im Stollen sahen sie immer wieder
Taschenlampenlicht aufblitzen, und keine Minute später konnten sie
bereits hören, wie Wegener näher kam.
Das Stöhnen der
Verwundeten wurde lauter, ihre Atemzüge hektischer. Kotek spürte,
dass Hohenauers Zusammenbruch unmittelbar bevorstand. Just in diesem
Augenblick tat sich eine Kreuzung vor ihnen auf.
»Die Verbindung zu den
Geisslergängen«, erklärte Häuslschmied lakonisch.
»Wir gehen nach links in Richtung Siglitztal. Rasch! Nach ungefähr
fünfzig Metern fahren wir dann rechts einen Schacht in Richtung
Georg-Stollen hoch.«
Aufgrund ihrer Formulierung
auf einen Fahrstuhl zu hoffen wäre ziemlich realitätsfern
gewesen, wie Kotek wusste. »Fahren« stand in der
Bergmannssprache leider auch für andere Fortbewegungsarten.
»Nicht ganz hinauf
allerdings«, schränkte die ortskundige Seniorin ein, »vorher
biegen wir in einen aufgelassenen Zwischengang ab.«
Kotek hörte nur mit
halbem Ohr zu, der größte Teil ihrer Aufmerksamkeit galt nach
wie vor der verletzten Kollegin und den Geräuschen in ihrem Rücken.
Häuslschmied erriet ihre
Gedanken. »Es hilft nichts. Tina muss allein die morschen Sprossen
raufklettern, oder wir können uns freiwillig erschießen lassen.«
Wider Erwarten schaffte es
Hohenauer, Dutzende Höhenmeter auf der glitschigen, aber nicht allzu
steilen Knappenleiter hinaufzusteigen. Im von Häuslschmied genannten
Seitengang verließen sie allerdings die Kräfte. Ihre Knie gaben
nach, und sie brach lautlos zusammen. Wie eine Marionette, die vom
Puppenspieler fallen gelassen wird, dachte Kotek mitleidig.
Häuslschmied richtete
den Lichtstrahl erst auf ihre Großnichte, dann auf Kotek. »Sie
ist bewusstlos. Können Sie sie noch ein paar Meter tragen?«
»Wenn Sie mir dabei
helfen?«
Kotek hob Tina Hohenauer mit
dem Rautengriff hoch, und die schmächtige, aber zähe Greisin
fasste bei den Füßen an. Gemeinsam trugen sie Hohenauer bis zu
einer Gabelung, von der neben zwei horizontalen Gängen jeweils ein
Schacht steil nach oben und einer in flacherem Winkel nach unten wegführte.
Um zu verschnaufen, blieb
Kotek, die die Hauptlast trug, kurz stehen, aber Häuslschmied
verlangte, ihre Großnichte noch ein Stück weit in einen der
Stollen hineinzutragen. Kotek erfüllte ihr den Wunsch. Kaum aber
hatten sie ein paar Schritte getan, da kehrte die Alte wieder um, und als
das Dreiergespann wieder die Weggabelung erreicht hatte, bestand sie
darauf, noch etliche Meter weiter zurückzugehen. Traute sie der
Stabilität des Stollens nicht, der an dieser Stelle
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