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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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sie
     Tina Hohenauer huckepack genommen, um rascher voranzukommen, aber die
     Verwundete hätte das Geschüttel nicht ausgehalten, und sie zurückzulassen
     kam natürlich ebenso wenig in Frage – was nicht hieß,
     dass sich Kotek solche Gedanken nicht aufdrängten. Ein Heuchler, der
     in einer so lebensbedrohlichen Situation nur an die edle Selbstaufopferung
     für andere denkt.
    Hohenauer blieb stehen.
     »Wenn ich hier bleibe, kommt ihr schneller –«
    »Vergessen Sie es«,
     schnitt ihr Kotek das Wort ab. »Allein bleiben Sie auf keinen Fall
     zurück. Ich bleibe bei Ihnen, und Sie, Amanda, gehen weiter und
     verstecken sich in den Seitenstollen. Unsre Retter sollten schon unterwegs
     sein.«
    »Und werden dann zwei
     Leichen finden«, schaltete sich Amanda Häuslschmied trocken
     ein, ging dabei aber weiter. »Wegener hat doch nur noch einen
     kleinen Trumpf in der Hand«, sagte sie. »Er kann sein
     Inkognito noch für ein paar Stunden wahren, aber er wird keine
     Sekunde zögern, euch im Vorbeigehen zu erschießen. Dann wird er
     mich einholen, mir das Goldversteck aus dem Fleisch schinden und mit ein
     oder zwei Barren über Kolm-Saigurn abhauen. Also, reißt euch
     gefälligst zusammen!«
    Während dieses Appells
     hatte sie sich nicht einmal nach ihnen umgewandt. Kotek hasste sie dafür
     und sah in ihr – nicht von ungefähr – wieder die Gattin
     des SS-Scharführers. Aber auch dieses Bild änderte nichts daran,
     dass die alte Frau recht hatte. Die Idee, auf Wegener zu warten wie ein
     Schaf auf den Schlächter, war ebenso grotesk, wie ihm weismachen zu
     wollen, Jacobi & Co. wüssten über seine Identität
     Bescheid. Wahrscheinlich würde er sie dann erst recht umbringen.
    Hohenauer taumelte wie eine
     Betrunkene vorwärts. Es half nur wenig, dass Kotek sie am linken Arm
     stützte. Hinter sich im Stollen sahen sie immer wieder
     Taschenlampenlicht aufblitzen, und keine Minute später konnten sie
     bereits hören, wie Wegener näher kam.
    Das Stöhnen der
     Verwundeten wurde lauter, ihre Atemzüge hektischer. Kotek spürte,
     dass Hohenauers Zusammenbruch unmittelbar bevorstand. Just in diesem
     Augenblick tat sich eine Kreuzung vor ihnen auf.
    »Die Verbindung zu den
     Geisslergängen«, erklärte Häuslschmied lakonisch.
     »Wir gehen nach links in Richtung Siglitztal. Rasch! Nach ungefähr
     fünfzig Metern fahren wir dann rechts einen Schacht in Richtung
     Georg-Stollen hoch.«
    Aufgrund ihrer Formulierung
     auf einen Fahrstuhl zu hoffen wäre ziemlich realitätsfern
     gewesen, wie Kotek wusste. »Fahren« stand in der
     Bergmannssprache leider auch für andere Fortbewegungsarten.
    »Nicht ganz hinauf
     allerdings«, schränkte die ortskundige Seniorin ein, »vorher
     biegen wir in einen aufgelassenen Zwischengang ab.«
    Kotek hörte nur mit
     halbem Ohr zu, der größte Teil ihrer Aufmerksamkeit galt nach
     wie vor der verletzten Kollegin und den Geräuschen in ihrem Rücken.
    Häuslschmied erriet ihre
     Gedanken. »Es hilft nichts. Tina muss allein die morschen Sprossen
     raufklettern, oder wir können uns freiwillig erschießen lassen.«
    Wider Erwarten schaffte es
     Hohenauer, Dutzende Höhenmeter auf der glitschigen, aber nicht allzu
     steilen Knappenleiter hinaufzusteigen. Im von Häuslschmied genannten
     Seitengang verließen sie allerdings die Kräfte. Ihre Knie gaben
     nach, und sie brach lautlos zusammen. Wie eine Marionette, die vom
     Puppenspieler fallen gelassen wird, dachte Kotek mitleidig.
    Häuslschmied richtete
     den Lichtstrahl erst auf ihre Großnichte, dann auf Kotek. »Sie
     ist bewusstlos. Können Sie sie noch ein paar Meter tragen?«
    »Wenn Sie mir dabei
     helfen?«
    Kotek hob Tina Hohenauer mit
     dem Rautengriff hoch, und die schmächtige, aber zähe Greisin
     fasste bei den Füßen an. Gemeinsam trugen sie Hohenauer bis zu
     einer Gabelung, von der neben zwei horizontalen Gängen jeweils ein
     Schacht steil nach oben und einer in flacherem Winkel nach unten wegführte.
    Um zu verschnaufen, blieb
     Kotek, die die Hauptlast trug, kurz stehen, aber Häuslschmied
     verlangte, ihre Großnichte noch ein Stück weit in einen der
     Stollen hineinzutragen. Kotek erfüllte ihr den Wunsch. Kaum aber
     hatten sie ein paar Schritte getan, da kehrte die Alte wieder um, und als
     das Dreiergespann wieder die Weggabelung erreicht hatte, bestand sie
     darauf, noch etliche Meter weiter zurückzugehen. Traute sie der
     Stabilität des Stollens nicht, der an dieser Stelle

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