Dohlenflug
Rückversicherung
hätte ich mich nie von ihm fesseln lassen. Ich geb’s ja zu: Ich
fühle mich zu diesem Mann hingezogen, er fasziniert mich. Aber rückhaltlos
vertraue ich ihm nicht. Davon abgesehen können immer Situationen
eintreten, in denen man über so einen Schlüssel froh ist.«
Kotek verkniff sich zu sagen,
was Wegener bei einer Entdeckung des Schlüssels vermutlich mit ihr
getan hätte, und schloss stattdessen beide Handschellen auf.
»Wir sind tatsächlich
froh, Tina – vor allem über Ihre Entscheidung, die Ihnen sicher
nicht leichtgefallen ist. Was war es denn, was letztlich die Vernunft
über Ihr Gefühl hat siegen lassen?«
Hohenauer stieß wieder
einen tiefen Seufzer aus, ehe sie antwortete. »Ich kenne Werner erst
seit wenigen Wochen. In dieser Zeit habe ich ihn bereits mehrmals beim Lügen
ertappt, aber das war noch nichts gegen das, was er mir seit ein paar
Tagen auftischt. Vorgestern hat er sich krass verplappert, als er meinte,
die dumme Göre hätte ihm die Inszenierung auf der Rettenwänd-Hütte
beinahe vermasselt. Von da an hab ich versucht nicht mehr genau hinzusehen
und -hören. Ich wollte weiterhin glauben, er sei nur ein
Trittbrettfahrer, der wie andere auch vom mythenumwobenen Häuslschmied-Gold
weiß und dem Mehrfachmörder Pauli zuvorkommen will.«
»Verletzt und zornig,
wie Sie waren, haben Sie Ihren fahnenflüchtigen Liebhaber mir nix,
dir nix als Mehrfachmörder akzeptiert – wider jede Vernunft?«
Hohenauer schwieg. Was hätte
sie darauf auch antworten sollen?
Der Schnarchrhythmus hatte
sich verlangsamt, die Atemzüge Wegeners waren ruhiger geworden, er
schlief tief und fest.
»Wie lange wird er wohl
noch schlafen?«, erkundigte sich Kotek. »Ich weiß, eine
blöde Frage, aber die Antwort kann für uns lebenswichtig sein.«
»Er wird kaum
aufwachen, ehe sein Handywecker um halb vier klingelt, er ist ziemlich
erschöpft.«
Und er muss sich deiner
ziemlich sicher sein, obwohl du über Marageter noch nicht hinweg
bist, dachte Kotek.
»Apropos Handy …«
»Leider nein, meins ist
auch da drinnen.« Hohenauer, die die Frage erwartet hatte, zeigte
auf die bewusste Tür.
Kotek nickte. »Wäre
wohl auch zu viel verlangt gewesen.«
Sie gab ihr den
Handschellenschlüssel zurück und deutete mit dem Kinn auf Häuslschmied.
»Ich finde, Sie sollten das machen.«
»Vielleicht kannst du
mir ja eines Tages verzeihen, Mandi-Tant?«, sagte Hohenauer
kleinlaut, während sie die alte Frau befreite.
»Wir werden später
darüber reden, Tina«, erwiderte Amanda Häuslschmied, und
ihre Großnichte registrierte sehr wohl, dass sie nicht mehr das
vertraute »Tini« verwendet hatte.
»Haben wir denn überhaupt
eine Chance, ins Zimmer zu gelangen und Wegener zu überwältigen?«,
fragte Kotek.
Hohenauer schüttelte den
Kopf. »Kaum. Er hat nicht nur abgesperrt, sondern sicher auch einen
Stuhl unter die Klinke gestellt, und von außen durch ein Fenster
einzusteigen wäre Harakiri. Nach draußen zu gelangen wäre
sowieso schon schwierig genug. Werner hat auch die Haustür
abgesperrt, und die Fenster klemmen und knarren furchtbar.«
»Das werden wir nicht
riskieren«, sagte Kotek sofort, »wir gehen übers Dach.«
»Werner hat auch den
Schlüssel zum Vorhängeschloss der Dachbodenklappe bei sich«,
wandte Hohenauer ein.
»Auch den, der unter
der Treppe zum Dachboden versteckt ist?«
Die junge Frau stutzte.
»Als Sie mir gestern das Haus zeigten, haben Sie gar nichts von
einem zweiten Schlüssel erwähnt?«
»Hab ich wahrscheinlich
vergessen. Aber damit werden wir es aufs Dach hinauf schaffen. Und sind
wir erst mal draußen, versuchen wir die Genossenschaftsalm zu
erreichen und zu telefonieren.«
Hohenauer blickte betroffen
zu Boden. »Wir können dort weder über ein Festnetz noch
über Mobilfunk telefonieren.«
Kotek blickte sie schräg
an. »Aber die Wirtschafterin lebt noch, oder?«
Das Mädchen nickte.
»Sie ist gefesselt, kann aber durch einen Strohhalm in ihrem Knebel
aus einer Wasserflasche trinken.«
»Wie tröstlich.
Also bringt eine Flucht zur Genossenschaftsalm nichts, trotzdem müssen
wir von hier auf jeden Fall verschwinden. Wir müssen Zeit gewinnen,
bis Hilfe aus dem Tal kommt. Aber wohin verschwinden? Die Möglichkeiten
sind ziemlich begrenzt.«
»Wir sollten versuchen
den Imhof-Stollen zu erreichen«, schlug Häuslschmied
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