Dohlenflug
wohl noch etliche Stunden bleiben,
bewacht und umsorgt von Salma Schleißheimer.«
»Und warum hat sich der
Pauli niedergesoffen? Das soll doch sonst nicht seine Art sein.«
»Weil die Unterschrift
Schleißheimers auf der Kreditbewilligung gefälscht ist, sodass
sein Umschuldungskonstrukt nun doch noch Gefahr läuft
zusammenzubrechen. Marageter ist also aus dem Rennen, und nach Regenmandls
Leiche suchen bereits die oberösterreichischen Kollegen in den
Salzachauen zwischen Ostermiething und Burghausen. Aber erst die
Verdachtsmomente, die sich gegen Stubi richteten, haben mich auf die
richtige Spur gebracht. Ich zog die Asservatenkammer und die
Rechnungsabteilung zurate und: Volltreffer! Wegeners Gehaltskonto ist
hoffnungslos überzogen, seine Häuser gehören mittlerweile
den Banken, und er ist Stammgast in der Asservatenkammer, wo er immer
wieder mal Koks durch Staubzucker ersetzt. Zu guter Letzt hat er sich
letzte Woche einen Peilsender von der Technik geholt – mit von mir
unterzeichnetem Anforderungsformular. Vermutlich hat er ihn an Regenmandls
Range Rover angebracht, um schneller zu sein als wir.«
»Ein frecher Hund! Und
was ist jetzt mit Stubi?«
»Seine penetrante Fürsorglichkeit
wäre ihm beinahe zum Verhängnis geworden. Er wollte Werner, den
er ja für krank hielt, besuchen und sah ihn ausgerechnet mit
Regenmandls Range Rover vor seinem ehemaligem Zinshaus auf den Parkplatz
fahren.«
»Du sagtest ›beinahe‹,
also lebt Stubi noch?«
»Ja, er wollte Werner
zur Rede stellen, aber der hat ihn erst zusammengeschlagen und dann mit
Paketband verschnürt in seinem Kellerabteil zurückgelassen.«
»Hauptsache, er ist
noch am Leben.«
»Ist er. Ehe Werner
abgehauen ist, hat er Stubi sogar noch genüsslich den Grund für
dessen rätselhafte Magenverstimmung genannt. Um die Haussuchung bei
den Schleißheimers allein durchführen zu können, hat er
Stubis geliebte Gorgonzola-Jausensemmel schon tags zuvor mit einer
Schimmelpilzkultur geimpft, also noch ehe er nach Gastein gefahren ist, um
Schleißheimer zu ermorden. Für den Samstag glaubte er, Stubi
damit außer Gefecht gesetzt zu haben, doch dessen Pflichtbewusstsein
gab erst am späten Nachmittag w.o. und hätte ihm so fast noch
einen Strich durch die Rechnung gemacht. Stubi ist übrigens auch
jetzt wieder auf dem Weg ins Krankenhaus.«
42
DER SCHLÜSSEL steckte
tatsächlich in einer Fuge unter der Holztreppe, sodass die drei
Frauen unbehelligt den Dachboden erreichten. Dem Vorschlag Hohenauers, auf
die wenig Erfolg versprechende Flucht zu verzichten und stattdessen die
sich nach oben öffnende Bodenfalltür mit zwei massiven Pfosten
zu beschweren und danach auf Hilfe zu warten, erteilten sowohl Kotek als
auch Häuslschmied eine Absage.
»Dein Liebhaber würde
nicht zögern, das Haus abzufackeln«, sagte die alte Frau.
»Dabei entginge ihm zwar das Gold, das ihm beliebig viele
Menschenleben wert ist, aber ein Spieler, wie er einer ist, würde in
einer derartigen Pattsituation sicher nicht tatenlos auf seine Verhaftung
warten.« Damit war diese Variante vom Tisch.
Das Haus durch die Dachluke
zu verlassen entpuppte sich nicht als so einfach wie geglaubt, weil die
Luke nur nach und nach hochgestemmt und vom darauf lastenden Schnee
befreit werden konnte. Dann aber gestaltete sich der Abgang der drei
Frauen dank der bergseitigen Hangaufschüttung als Kinderspiel. Mit
zwei, drei Schritten Anlauf sprang sogar Häuslschmied in ihren
Winterstiefeln vom Dach in den fast hüfthohen Schnee auf der
Erdrampe.
Und so schlecht waren ihre
Karten auch wieder nicht: Sie waren alle drei mit Winterkleidung ausgerüstet,
hatten den Rucksack samt Inhalt und zwei Stablampen mit starken Batterien
zur Verfügung, und das Paar Schneeschuhe, das sie auf dem Dachboden
gefunden hatten, betrachteten sie als einen echten Wink des Schicksals.
Doch schon nach den ersten
hundert Schritten nach Osten in Richtung Bockartsee-Straße verflog
die leichte Euphorie, die sie nach dem Verlassen des Hauses erfasst hatte.
Zwar kam die Greisin dank der Schneeschuhe zunächst so gut voran,
dass die beiden jüngeren Frauen ihr im Tiefschnee kaum zu folgen
vermochten, erlahmte aber unter den extremen Bedingungen schnell. Ein
weiteres Problem war die Orientierungslosigkeit. Ohne ihr Handy bedauerte
Kotek nun, dass sie ihre Taucheruhr mit Kompassfunktion, ein Geschenk
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