Dohlenflug
die an die linke Stollenwand gelehnt am Boden saßen,
eines hinter dem anderen.
Häuslschmied, die auf
die Steine wartete, mahnte zur Eile, trotzdem ließ Kotek den
Lichtstrahl noch einmal über die Gerippe wandern. Drei davon steckten
in Anzügen von vormals guter Qualität, andernfalls wären
sie in dem feuchtkalten Stollenklima längst vollständig
zerfallen. Die Gebeine der anderen drei waren jedoch nicht in Overalls gehüllt,
wie Koteks erster Eindruck bei flüchtigem Hinschauen gewesen war,
sondern trugen Uniformen, genauer gesagt: zwei US-Uniformen und eine der
Wehrmacht.
Die Anzugträger wiesen tödliche
Schusswunden auf der Stirn auf, und auch den Träger der
Captains-Uniform zierte ein glattes Loch im Schläfenbein, nur an den
Schädeln des GIs und des Wehrmachtssoldaten waren keine Einschusslöcher
zu sehen.
Schließlich riss Kotek
sich von dem makabren Anblick los und beeilte sich, die gewichtigen Quader
aus Gneisschiefer durch das Loch zu befördern. Als sie den letzten
vom Stollenboden hochhob, spürte sie einen kühlen Luftzug.
Sie erstarrte mitten in der
Bewegung. Die Schritte waren nicht laut gewesen, aber ganz nah. Sie hob
den Blick und wurde von einem Lichtstrahl geblendet.
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»DU HAST RECHT, es erübrigt
sich, den Stein wieder einzusetzen«, sagte Wegener und ließ
den Schein seiner Stablampe kurz auf seine linke Hand fallen. Kotek sah
ihre eigene Glock auf sich gerichtet.
»Jedenfalls für
euch«, schränkte er dann ein. »Leg ihn wieder hin und
setz dich auf den Boden.«
Kotek tat, was er verlangte.
Rasch trat er hinter sie.
»Hände zurück.«
Wieder gehorchte sie, und
schon klickten die Handschellen.
Wenigstens hat er nicht vor,
mich gleich zu erschießen, dachte sie erleichtert, sonst hätte
er sich die Mühe sicherlich erspart. Trotzdem hing ihr Leben an einem
äußerst dünnen Faden. Aus Sicht des flüchtigen Mörders
stellte sie nur unnützen Ballast dar – ebenso wie Hohenauer.
Einzig und allein Häuslschmied konnte damit rechnen, nicht sofort
umgebracht zu werden.
Ohne Gegenwehr ließ sie
es über sich ergehen, dass Wegener sie eingehender als nötig
nach Waffen und Schlüsseln abtastete und dabei auch nicht davor zurückschreckte,
in ihre Unterwäsche zu langen. Wenigstens tat er es schnell und ohne
Ambition, um dann gleich an das Loch in der Mauer zu treten und den toten
Stollen auszuleuchten.
»Ist sie das, Amanda?
Ist das die geheime Kammer, von der im Brief deines Alten die Rede war?«
Er erhielt keine Antwort, was
Wegener aber nicht zu stören schien. Er war in bester Stimmung,
geradezu euphorisch – wie ein Schachspieler, der weiß, dass er
dem Gegner um den ultimativen Zug voraus ist.
»Und was haben wir denn
da? Die Überreste von sechs der sieben Zwerge, die einst das Gold
geliefert haben? Und der in der Wehrmachtsuniform war der Busenfreund
deines Nazi-Gatten, nicht wahr? Hans Häuslschmied ist Siegfried Röck
in jener Nacht zuvorgekommen, weil er Angst hatte, ihm könnte es
sonst ebenso wie den beiden Amis ergehen. Danach war er der Herr des
Schatzes, der alleinige Herr! Hab ich recht?«
Wieder blieb Amanda Häuslschmied
die Antwort schuldig. Ruhig trat Wegener zur Seite. »Kommt raus!
Wenn nicht, schieße ich Frau Kotek in den Oberschenkel.«
So weit wollten es die Frauen
im Stollen nicht kommen lassen. Zuerst kroch Hohenauer heraus. Sie war
derartig hinfällig, dass sie es ohne die rüde Unterstützung
ihres ehemaligen Liebhabers nicht geschafft hätte.
»Warum tust du das,
Werner?«, murmelte sie kaum verständlich. »Dabei wäre
ich sogar mit dir gegangen.« Die Anstrengung, die Schmerzen und die
schwere Verletzung ließen ihre Beine nachgeben. Wieder sackte sie
zusammen und verlor das Bewusstsein. Immerhin blieb ihr so wenigstens
Wegeners Antwort erspart.
»Das wärst du
sicher nicht, Mädchen«, sagte er, wobei er der Ohnmächtigen
zunächst den Handschellenschlüssel aus der Hosentasche zog, sie
dann ein paar Meter vom Loch wegschleppte und auf derselben Gangseite mit
Kopf und Schultern an die Stollenwand lehnte. Anschließend wandte er
seine Aufmerksamkeit wieder Häuslschmied zu.
»Falls du noch
Interesse an deiner Großnichte hast, Amanda, solltest du mir das
Gold möglichst rasch übergeben«, sagte er, während er
ihr aus dem Loch heraushalf und ebenfalls Handschellen anlegte. »Ohne
medizinische Hilfe
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