Dohlenflug
wird sie das nicht mehr lang durchstehen.«
Allein schon für den
pseudo-teilnahmsvollen Tonfall hätte ihm Kotek am liebsten die Zähne
eingeschlagen.
»Sollte nur deine
Habgier das Problem sein, kann ich dich beruhigen«, setzte Wegener
fort. »Mehr als fünf Barren können wir ohnehin nicht
tragen, auch wenn wir alle mit anpacken. Also, sag: Wo ist das Gold? Es
ist doch hier, nicht wahr? Wir schaffen es nach Kolm-Saigurn zu meinem
Fluchtwagen, und schon seid ihr mich los.«
Jetzt endlich begriff Kotek.
»Du bist also gestern mit dem Range gar nicht nach Gastein gefahren,
sondern ins benachbarte Rauriser Tal bis Kolm-Saigurn. Dort hast du dir
Zugang zum Imhof-Stollen verschafft und bist einfach durch das
Kolmkar-Massiv ins Naßfeld herübergegangen. Warum bin ich da
nicht früher draufgekommen? Deshalb hab ich auf der alten Naßfelder
Straße auch vergeblich nach Spuren Ausschau gehalten.« Dass
auch Redl und Feuersang sich die Nacht in Böckstein vergeblich um die
Ohren geschlagen hatten, behielt sie lieber für sich.
Wegener weidete sich an ihrer
Niedergeschlagenheit. »Tja, Melanie, das hätte dir eben früher
einfallen sollen. Aber jetzt ist Amanda an der Reihe: Wo ist das Gold? Es
muss ja hier in diesem Gang irgendwo sein!«
»Ich habe es schon Frau
Kotek gesagt: Ich bin alt, aber nicht debil«, antwortete Häuslschmied
ohne ein Zittern in der Stimme. »Glaubst du, ich weiß nicht,
warum du Tina vorhin angeschossen hast? Mit ihr als Klotz am Bein konnten
wir dir nicht mehr davonlaufen und sollten gezwungen sein, uns in einem
Versteck zu verkriechen. Und welches läge da näher als das des
Goldes?«
»Nicht schlecht, altes
Fossil.« Der Mörder Wegener applaudierte zynisch, aber das alte
Fossil war noch lang nicht fertig.
»Von Anfang an hast du
Tina wie eine Schachfigur eingesetzt – bis zu diesem Augenblick. Das
zeigt nur, wie viel sie dir wert ist: nämlich nichts! Sie hat ihre
Schuldigkeit als Informantin und Lockvogel getan und kann jetzt gehen oder
auch sterben – wie auch immer. Dabei hat sie nur den Fehler
begangen, den Millionen junger Frauen tagtäglich begehen: Sie hat
sich in den Falschen verliebt. Und aus Liebeskummer ist sie dann gleich in
die nächste, ungleich fatalere Beziehung geflüchtet. Wenn ich
dir jetzt sage, wo das Gold ist, hat aber nicht nur Tina ihre Funktion erfüllt.
Du erschießt uns alle drei, versteckst unsre Leichen hier oder
anderswo, nimmst ein, zwei Barren mit, um die Gier der Hehler zu wecken,
und wenn nach ein paar Monaten ein wenig Gras über die Sache
gewachsen ist und die Aufmerksamkeit nachgelassen hat, kehrst du kaltschnäuzig
zurück und holst dir den Rest.«
»Und dann?«
»Dann hast du sechs
Menschen ermordet, genauso viele, wie 1945 in einer Maiennacht wegen
dieses verfluchten Goldes sterben mussten. Und sechs – das wird dir
ja bekannt sein – ist die Zahl des Teufels.«
»Soll ich deine Predigt
so verstehen, dass du mir das Versteck nicht verraten willst?«
»Lass Frau Kotek mit
Tina in den Imhof-Stollen hinuntersteigen und ins Naßfeld zurückgehen«,
schlug Häuslschmied vor. »Nach einer Viertelstunde werde ich
dir dann das tatsächliche Versteck nennen. Es ist nicht hier, aber
ganz in der Nähe.«
»Ein schlechtes Gambit«,
sagte Wegener. »Schlecht für mich. Jacobi sollte schon auf dem
Weg hierher sein, und seine Jagdhunde sind vermutlich längst irgendwo
da draußen am Almboden. Er hat übrigens vor wenigen Minuten ein
SMS an Melanie gesendet. Darin heißt es, er würde ihren Mörder
bis ans Ende der Welt hetzen und zur Strecke bringen. Allerdings nennt er
keinen Namen.«
»Ah, und deshalb lebe
ich noch?«, meldete sich Kotek prompt. »Weil er keinen Namen
genannt hat? Ich habe mich schon gewundert.«
»Das kann sich rasch
ändern, Melanie«, sagte Wegener kalt. »Wie lange ich dich
im Talon behalte, das hängt von Amanda ab. Glaubt ihr ernsthaft, ich
lasse mich von euch hinhalten, nachdem ich schon den Fredl abgestochen
habe, dann die Bachblüten-Lotte und schließlich auch noch den
Regenmandl?«
Kotek lief es eiskalt den Rücken
hinunter. In ihrer Todesangst war sie nahe dran hinauszuschreien, dass
Jacobis Leute ihre geschriebene Nachricht, die seinen Namen enthielt, ganz
sicher im Specksteinofen finden würden.
»Wie hast du Lotte
Heinrich nur dazu gebracht, dir zu nachtschlafender Zeit zu öffnen,
obwohl
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