Dohlenflug
zu sehen.
Der Schock war so gewaltig,
dass die Frauen krampfhaft nach Luft rangen.
Wegener, hinter dem Strahl
der Taschenlampe nach wie vor unsichtbar, sagte ruhig: »So, die Nächste
ist Frau Kotek, und dann, Amanda, bist du selbst dran. Jeder redet unter
Folter, glaub mir. Willst du dir eine solche Tortur auf deine alten Tage
wirklich noch antun?«
In Koteks Ohren klangen die
Worte so beiläufig, als würde ein mäßig
interessierter Angehöriger seine greise Oma fragen, ob sie nicht doch
auf eine anstrengende Reise verzichten wolle.
Man merkte förmlich, wie
Häuslschmied innerlich zusammenbrach. Sie hatte es Wegener wohl tatsächlich
nicht zugetraut, dass er ernst machen würde. Sie presste die faltigen
Lippen noch fester aufeinander als gewöhnlich, aber Kotek konnte in
ihren hellen Falkenaugen keine Tränen erkennen. Ihr selbst liefen sie
in Bächen die Wangen hinunter.
Die alte Frau blickte zu
Wegener hoch. »Ist ja gut, du hast gewonnen.«
Als der vierfache Mörder
den Pistolenlauf von der Stirn der nächsten Todeskandidatin
wegschwenkte, merkte Kotek, dass ihr Schließmuskel versagt hatte.
»Ja, Amanda?«
Wegener wirkte vollkommen entspannt. Dass er eben einen wehrlosen Menschen
erschossen hatte, schien ihn nicht im Geringsten zu belasten.
»Das Gold ist tatsächlich
da drinnen«, bestätigte Häuslschmied leise, »ganz
hinten unter dem Versatzmaterial. Man muss nur die obersten Steine
abtragen und eine Plane zur Seite ziehen, dann kommen die Barren zum
Vorschein.«
»Warum nicht gleich so?
Wie viele Barren lagern da noch?« Seine Stimme klang heiser vor
erwartungsvoller Aufregung, er wähnte sich am Ziel.
»Alle habe ich noch nie
gesehen. Überhaupt hat mein Mann nur ein einziges Mal mit mir über
dieses Geheimnis gesprochen. Als Lotte mit ihrem Bankert nach Amerika
ging, hatte er kurzfristig eine sentimentale Phase und empfand so etwas
wie Solidarität mir gegenüber. Später bereute er seine
Mitteilsamkeit wieder, aber da hatte ich den Lageplan längst kopiert
und verinnerlicht.« Die alte Frau sprach rasch und monoton wie ein
Automat, ihr Monolog war die klassische Übersprungsreaktion.
»Die Chemie zwischen
dir und deinem Mann interessiert mich nicht die Bohne«, sagte
Wegener unwirsch, »ich will wissen, wie viele Barren es noch gibt.«
»Es dürften noch
sechzehn sein«, antwortete sie kontrolliert, doch ihre Lippen
zitterten. »Die meisten wurden in den Jahren nach dem Krieg in
US-Dollar oder Schweizer Franken umgewandelt und dienten so dem Kauf von
Immobilien, Wertpapieren, Schmuck und teuren Autos. Vor achtzehn Jahren
wurden wieder einige flüssig gemacht, um die Schweinereien im
Laderdinger Alpl unter dem Teppich zu halten. Eltern und ein allzu
eifriger Kriminalbeamter mussten bestochen werden, aber danach griff Hans
diese Reserve nicht mehr an, genauso wenig wie ich nach seinem Tod.«
»Na, dann wollen wir
mal.«
Wegener zog die Ermordete ein
Stück weit von der Trockenmauer weg und zwang die Gefangenen, sich zu
beiden Seiten des Leichnams auf den feuchten Stollenboden zu setzen. Dann
kettete er die zwei Frauen mit jeweils einer Handschelle an die
Handgelenke der Toten.
»Alle Schlüssel für
eure Handschellen sind jetzt ausschließlich bei mir verwahrt.«
Er klopfte auf eine Tasche seines Parkas. »Natürlich könnt
ihr versuchen, Tina mit euch zu schleifen, solange ich da drinnen bin«,
sagte er gelassen, »aber nebeneinander und mit einer Leiche als
Ballast einen engen Schacht hinunterzuklettern, das dürfte nicht ganz
einfach sein.«
Ohne sich weiter um sie zu kümmern,
ging er zu dem Durchbruch und kroch in den tauben Gang. Sekunden später
umgab die Frauen fast vollständige Dunkelheit, nur ein kaum
wahrnehmbarer Widerschein zeigte ihnen, wo sich die Trockenmauer befand.
Dass der Körper der ermordeten Tina Hohenauer noch immer so warm war,
als würde sie leben, verstärkte die Unwirklichkeit der
Situation.
»Bleibt uns denn was
anderes übrig, als mit dem Leichnam möglichst weit weg zu
laufen, solange er da drinnen ist?«, flüsterte Kotek und
tastete über die Ermordete hinweg nach ihrer Leidensgenossin.
»Wenn Sie sich lieber
den Hals brechen, als erschossen zu werden, nur zu. Aber ohne mich«,
erwiderte Häuslschmied in einem Anflug von grimmigem Galgenhumor.
Kotek zahlte es ihr mit
gleicher Münze zurück. »Was schlagen Sie denn vor?
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