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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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zu sehen.
    Der Schock war so gewaltig,
     dass die Frauen krampfhaft nach Luft rangen.
    Wegener, hinter dem Strahl
     der Taschenlampe nach wie vor unsichtbar, sagte ruhig: »So, die Nächste
     ist Frau Kotek, und dann, Amanda, bist du selbst dran. Jeder redet unter
     Folter, glaub mir. Willst du dir eine solche Tortur auf deine alten Tage
     wirklich noch antun?«
    In Koteks Ohren klangen die
     Worte so beiläufig, als würde ein mäßig
     interessierter Angehöriger seine greise Oma fragen, ob sie nicht doch
     auf eine anstrengende Reise verzichten wolle.
    Man merkte förmlich, wie
     Häuslschmied innerlich zusammenbrach. Sie hatte es Wegener wohl tatsächlich
     nicht zugetraut, dass er ernst machen würde. Sie presste die faltigen
     Lippen noch fester aufeinander als gewöhnlich, aber Kotek konnte in
     ihren hellen Falkenaugen keine Tränen erkennen. Ihr selbst liefen sie
     in Bächen die Wangen hinunter.
    Die alte Frau blickte zu
     Wegener hoch. »Ist ja gut, du hast gewonnen.«
    Als der vierfache Mörder
     den Pistolenlauf von der Stirn der nächsten Todeskandidatin
     wegschwenkte, merkte Kotek, dass ihr Schließmuskel versagt hatte.
    »Ja, Amanda?«
     Wegener wirkte vollkommen entspannt. Dass er eben einen wehrlosen Menschen
     erschossen hatte, schien ihn nicht im Geringsten zu belasten.
    »Das Gold ist tatsächlich
     da drinnen«, bestätigte Häuslschmied leise, »ganz
     hinten unter dem Versatzmaterial. Man muss nur die obersten Steine
     abtragen und eine Plane zur Seite ziehen, dann kommen die Barren zum
     Vorschein.«
    »Warum nicht gleich so?
     Wie viele Barren lagern da noch?« Seine Stimme klang heiser vor
     erwartungsvoller Aufregung, er wähnte sich am Ziel.
    »Alle habe ich noch nie
     gesehen. Überhaupt hat mein Mann nur ein einziges Mal mit mir über
     dieses Geheimnis gesprochen. Als Lotte mit ihrem Bankert nach Amerika
     ging, hatte er kurzfristig eine sentimentale Phase und empfand so etwas
     wie Solidarität mir gegenüber. Später bereute er seine
     Mitteilsamkeit wieder, aber da hatte ich den Lageplan längst kopiert
     und verinnerlicht.« Die alte Frau sprach rasch und monoton wie ein
     Automat, ihr Monolog war die klassische Übersprungsreaktion.
    »Die Chemie zwischen
     dir und deinem Mann interessiert mich nicht die Bohne«, sagte
     Wegener unwirsch, »ich will wissen, wie viele Barren es noch gibt.«
    »Es dürften noch
     sechzehn sein«, antwortete sie kontrolliert, doch ihre Lippen
     zitterten. »Die meisten wurden in den Jahren nach dem Krieg in
     US-Dollar oder Schweizer Franken umgewandelt und dienten so dem Kauf von
     Immobilien, Wertpapieren, Schmuck und teuren Autos. Vor achtzehn Jahren
     wurden wieder einige flüssig gemacht, um die Schweinereien im
     Laderdinger Alpl unter dem Teppich zu halten. Eltern und ein allzu
     eifriger Kriminalbeamter mussten bestochen werden, aber danach griff Hans
     diese Reserve nicht mehr an, genauso wenig wie ich nach seinem Tod.«
    »Na, dann wollen wir
     mal.«
    Wegener zog die Ermordete ein
     Stück weit von der Trockenmauer weg und zwang die Gefangenen, sich zu
     beiden Seiten des Leichnams auf den feuchten Stollenboden zu setzen. Dann
     kettete er die zwei Frauen mit jeweils einer Handschelle an die
     Handgelenke der Toten.
    »Alle Schlüssel für
     eure Handschellen sind jetzt ausschließlich bei mir verwahrt.«
     Er klopfte auf eine Tasche seines Parkas. »Natürlich könnt
     ihr versuchen, Tina mit euch zu schleifen, solange ich da drinnen bin«,
     sagte er gelassen, »aber nebeneinander und mit einer Leiche als
     Ballast einen engen Schacht hinunterzuklettern, das dürfte nicht ganz
     einfach sein.«
    Ohne sich weiter um sie zu kümmern,
     ging er zu dem Durchbruch und kroch in den tauben Gang. Sekunden später
     umgab die Frauen fast vollständige Dunkelheit, nur ein kaum
     wahrnehmbarer Widerschein zeigte ihnen, wo sich die Trockenmauer befand.
     Dass der Körper der ermordeten Tina Hohenauer noch immer so warm war,
     als würde sie leben, verstärkte die Unwirklichkeit der
     Situation.
    »Bleibt uns denn was
     anderes übrig, als mit dem Leichnam möglichst weit weg zu
     laufen, solange er da drinnen ist?«, flüsterte Kotek und
     tastete über die Ermordete hinweg nach ihrer Leidensgenossin.
    »Wenn Sie sich lieber
     den Hals brechen, als erschossen zu werden, nur zu. Aber ohne mich«,
     erwiderte Häuslschmied in einem Anflug von grimmigem Galgenhumor.
    Kotek zahlte es ihr mit
     gleicher Münze zurück. »Was schlagen Sie denn vor?

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