Dohlenflug
und Söhnen von sozial Benachteiligten,
von verschuldeten Underdogs, von Säufern, Süchtigen und
Spielern, kurz: von Existenzen ohne Perspektive, die am äußersten
Rand der Gesellschaft lebten.
»Die Avantgarde jener
Sorte Mensch, die ihre Kinder verkaufte, war schnell gefunden«, kam
Salma Schleißheimer auf den Punkt. »Karl Heinrich, Vater von
zwei Mädchen, bot sich der Quadriga wegen seiner Trunk- und
Spielsucht auf dem Präsentierteller an. Der originelle
Wuschzn-Charly, dessen DNA auf jedem Spieltisch und jeder Theke im
Gasteiner Tal zu finden war, hatte null Verantwortungsbewusstsein, dafür
aber einen Berg von Schulden. Außerdem – und das war der
springende Punkt, der es den Verführern leicht machte – war er
als Kind selbst missbraucht worden und missbrauchte nun auch seine ältere
Tochter.«
»Lotte?«,
vergewisserte sich Kotek.
»Ja, Lotte. Genau weiß
ich’s bis heute nicht, aber sie dürfte erst zehn oder elf Jahre
alt gewesen sein, als das mit ihrem Vater losging. Elsa, die nervenkranke
Mutter, hatte die Familie zu dem Zeitpunkt bereits verlassen und es
irgendwann geschafft, sich umzubringen.
Es brauchte nur zwei, drei
Einladungen auf Häuslschmieds Jagdhütte – die gehört
heute übrigens Johnny –, dann hatte man Charly so weit. Die
Quadriga finanzierte ihn und seine Gasthaus- und Casinobesuche, und er
schickte im Gegenzug dafür die dreizehnjährige Lotte zu Häuslschmieds
Jagdhütte, die ursprünglich eine Almhütte gewesen war und
deshalb ausreichend Platz bot.
Aber Lotte blieb nicht die
einzige minderjährige Sexsklavin. Bald hatte man vier Mädchen
und zwei Jungs an der Hand. Die Jungs und das jüngste Mädchen
waren elf, das älteste vierzehn. Und ich sag’s gleich dazu: Ich
war die Vierzehnjährige, aber mich hat niemand zwingen müssen.«
»Ihre Mutter war
alleinerziehend?«, fragte Kotek ahnungsvoll.
»Ja, sie war Kellnerin.
Schuftete wie ein Pferd, um den Schuldenberg abzutragen. Schulden, die ihr
mein Erzeuger hinterlassen hatte, ehe er sich auf Nimmerwiedersehen
vertschüsste. Die Bankzinsen fraßen jeden mühsam zur Seite
gelegten Schilling auf. Manchmal begleitete ich meine Mutter auf die Bank.
Eines Tages war es dann vorbei mit dem demütigenden Betteln um
Stundung der Zinsen. Muss ich darauf noch näher eingehen?«
»Ich nehme an, Herr
Regenmandl wurde auf Sie aufmerksam und fütterte Sie mit Gefälligkeiten
an. Kann man das so sagen?«
»Treffender kann man’s
nicht beschreiben. Ich lernte rasch, dass Armut kein gottgegebenes
Schicksal sein muss, wenn man rigoros einsetzt, was man zur Verfügung
hat.«
»Ein ziemlich zynischer
Standpunkt«, warf Kotek ein.
»Aber ist er deshalb
weniger richtig?«, konterte Salma Schleißheimer.
»Bleiben wir beim Geld«,
sagte Kotek, ohne auf ihre Sophisterei einzugehen. »Wie konnten sich
die vier Männer das alles leisten? Ich meine, es kostete sicher nicht
wenig, die Eltern mehrerer Kinder auf Linie zu halten.«
»Die Quadriga hatte
genug Geld. Der Reichste war damals sicher Dr. Czerwenka senior. Dessen
Vater, ebenfalls Anwalt und Notar, hatte unmittelbar nach dem Zweiten
Weltkrieg eine ebenso rätselhafte wie ergiebige Geldquelle aufgetan.
Trotzdem stürzte er sich noch zusätzlich in extrem hohe
Schulden, um alles an Immobilien und Grundstücken zu kaufen, was er
ergattern konnte. Dann kam die Währungsreform in Österreich
– in den bekannten zwei Etappen. Die Ersparnisse schrumpften zunächst
auf die Hälfte, dann auf ein Sechstel ihres ursprünglichen
Wertes zusammen, die Schulden allerdings auch. Grundstücks- und
Immobilienpreise kletterten dagegen langsam, aber stetig in die Höhe.
Der Sohn, der heute selbst bereits neunzig Jahre alt ist, vermehrte den
vom Vater geschaffenen Reichtum weiter, hauptsächlich durch
Spekulationen in den achtziger Jahren. Damals verfielen die vier auch auf
ihre perverse Idee.«
»Und dieser Arzt, wie
hieß er doch gleich?«
»Dr. Bruno Donati.«
»Und Donati war also
auch reich?«
»Hm, vielleicht war er
es mal vor Jahrzehnten, aber seine Kokainsucht hat Unsummen verschlungen.
Während Johnny und die anderen immer wohlhabender wurden, war er Ende
der Achtziger sicher der von der Gruppe, der am wenigsten liquide war.
Wahrscheinlich aber warfen seine Praxis und die Frühstückspension
seiner Frau gerade noch so viel ab, dass er seine
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