Dohlenflug
Schreibtisch nur aus einem Bürosessel. Die
Beamtin überließ Salma Schleißheimer den Sessel und
setzte sich auf die Schreibtischkante.
»Den wichtigsten Grund
für Lotte Heinrichs Verhalten haben Sie selbst schon am Telefon
genannt«, knüpfte sie an die zuletzt gestellte Frage an.
»Und gerade vorhin wieder: Sie braucht das Alibi für ihre
Tochter. Frau Heinrich glaubt, dass Julie etwas mit dem Mord an Ihrem Mann
zu tun hat, Frau Schleißheimer. Ihre aktuelle Aussage, Sie seien am
Samstagnachmittag von drei bis vier Uhr allein mit Lotte Heinrich in deren
Haus gewesen, sieht Frau Heinrich deshalb als Gefahr für ihre
Tochter.«
»Und außerdem
scheint auch Johnny plötzlich ein Alibi zu brauchen. Das geschieht
ihm ganz recht, warum spricht er darüber nicht mit mir?« Salma
Schleißheimers Zorn und Enttäuschung waren nicht gespielt.
»Ich glaube nicht, dass
dieses Alibi, das von Lotte Heinrich ins Spiel gebracht wurde, seine Idee
war«, wandte Kotek ein. »Vielmehr scheint sie ihn zu seiner
Bestätigung genötigt zu haben. Und deshalb, Frau Schleißheimer,
sind Sie jetzt an der Reihe: Womit hat Lotte Heinrich Ihren Lover in der
Hand? Ist es dieselbe Angelegenheit, mit der auch Ihr Mann versucht hat,
ihn zu erpressen?«
Salma Schleißheimer schüttelte
den Kopf. »Fredl wollte ihn sicher nicht im klassischen Sinn
erpressen. Er fühlte sich von Johnny und mir ausgebootet,
beiseitegeschoben. Inzwischen sehe ich seinen scheinbar so frechen
Einbruch in Johnnys Haus als einen verzweifelten Akt der
Selbstverteidigung. Mit den Infos, die er sich da widerrechtlich
angeeignet hatte, wollte er einer allfälligen Entlassung vorbeugen,
wollte sich dagegen wehren, das Bauernopfer nach der Revision zu werden.
Nur dahingehend hat er versucht, Druck auszuüben.«
»Die Motive Ihres
Mannes stellen wir vorläufig einmal zurück. Sie haben doch meine
Frage verstanden. Hat Lotte Heinrich dasselbe oder ein ähnliches
Druckmittel Jean Pierre Regenmandl gegenüber in der Hand, wie es Ihr
Mann hatte?«
Salma Schleißheimer
blickte unschlüssig zu Boden.
»Sie wollten doch
vorhin lieber mit einer Frau sprechen«, sagte Kotek nachdrücklich.
»Nun, ich bin eine Frau. Was soll ich noch dazu sagen? Nichts
Menschliches ist mir fremd?«
Schleißheimer blickte
hoch und Kotek direkt in die Augen. »Was ich Ihnen jetzt anvertraue,
muss nicht zwangsläufig etwas mit dem Mord an Fredl zu tun haben,
aber ich werde einfach das Gefühl nicht los, es könnte da eine
Verbindung geben. Und diese zu finden oder auszuschließen ist Ihre
Aufgabe, Frau Oberleutnant Kotek.«
Die Beamtin nickte bekräftigend
und zog ein Aufnahmegerät aus einer Tasche ihrer schicken Windjacke.
»Was dagegen, wenn ich den Rekorder als Gedächtnisstütze
zu Hilfe nehme?«
Salma Schleißheimer schüttelte
den Kopf und begann zu erzählen. »Ich habe ja schon heute
Vormittag auf dem Posten durchblicken lassen, dass ich in meiner Jugend
ein ziemliches Früchtchen war …«
Nüchtern und scheinbar
emotionslos gab sie Einblick in einen Abschnitt ihres Lebens, den sie
bisher wohl den meisten Menschen gegenüber unter Verschluss gehalten
hatte. Melanie Kotek bekam eine Gänsehaut nach der anderen.
Angeblich hatten sich vor
circa zwanzig Jahren vier honorige Gasteiner Bürger zusammengetan, um
geheime Orgien zu veranstalten. Diese vier Männer, die sogenannte
Quadriga, waren der Hotelier und Notar i. R. Dr. Kajetan Czerwenka, der
mittlerweile verstorbene Friseurmeister und Hotelier Hans Häuslschmied,
der ebenfalls verstorbene Medizinalrat Dr. Bruno Donati und der damals
noch junge, ehrgeizige Bankangestellte Jean Pierre Regenmandl. Die drei
älteren hatten schon jahrelang in Thailand einschlägige
Erfahrungen gesammelt und waren eines Tages auf die Idee verfallen, die
Parameter des thailändischen Sextourismus auf heimatliche Gefilde
umzulegen. Regenmandl selbst war nicht unbedingt pädophil orientiert,
aber sein Beuteschema schloss minderjährige Mädchen durchaus mit
ein, wenn sie gut entwickelt waren. Bereitwillig übernahm er Planung
und Organisation. Was aber trieb thailändische Jugendliche in die Hände
von Päderasten? Richtig, die bittere Armut ihrer Familien. Die Armut
war der Motor des Geschäfts, und Regenmandl wusste, was zu tun war.
Er suchte nach Kindern, die unter unsäglichen Familienverhältnissen
aufwuchsen. Nach Töchtern
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