Dohlenflug
konfrontiert? Wusste sie etwas davon?«,
fragte Kotek und sah dabei angelegentlich zu Chrissie hinüber. Täuschte
sie sich, oder hatte ihr Blick tatsächlich einen lauernden Ausdruck
angenommen? Oder war es doch nur normale Neugier?
»Das müsst ihr
selbst rausfinden, ob sie etwas davon gewusst hat«, verwahrte sich
Stubenvoll. »Ich persönlich habe es subjektiv so erlebt, als
fiele diese seltsame Frau aus allen Wolken. Aber diesbezüglich sind
wir ja schon öfter mit Grimme-Preis-verdächtigen Darstellungen
konfrontiert gewesen.«
»Warum nennst du die
Frau seltsam, Oliver? Du nimmst ungewöhnlich viel Anteil an diesem
Fall, so kennt man dich ja überhaupt nicht. Irgendwas geistert dir
doch im Kopf rum. Wir sind ein Team, Oliver, also raus damit!«
»Tja … hm. Also
gut. Gestern hat die Frau oben bei der Rettenwänd-Hütte –«
»Du meinst Resi
Neuhuber. Was ist mit ihr?«
»Neuhuber, genau. Mir
war der Name entfallen. Diese Zeugin hat jedenfalls die mediale Begabung
der Bachblüten-Lotte erwähnt«, begann Stubenvoll
vorsichtig. »Ich war noch in der Hütte, und ihr beide habt draußen
auf der Bank gesessen, aber ich hab es zufällig gehört.«
»Stimmt, die Neuhuber
hat so was in der Art gesagt. Und weiter?«
»Vorhin haben Werner
und ich, wie gesagt, der Bachblüten-Lotte die Baby-Nutten-Karriere
ihrer Tochter aufs Auge gedrückt. Sie hat das stumm zur Kenntnis
genommen und ist, ohne sich noch weiter um uns zu kümmern, vor das
Haus hinausgegangen und hat auf der gepflasterten Zufahrt mit ein paar Spänen
Feuer gemacht. Als die ersten Flammen knisterten, hat sie den Kopf geschüttelt
und traurig gesagt: ›Nein, nicht geräuschvoll wie Feuer kommst
du, sondern lautlos wie eine Dohle im Flug, und schon bist du nahe!‹
– Seither sitzt sie dort, Pfeife rauchend mit untergeschlagenen
Beinen, legt Holz nach, wirft von Zeit zu Zeit getrocknete Kräuter
ins Feuer und fächert mit einem Rabenflügel abwechselnd den
Rauch in die vier Himmelsrichtungen und sich selbst ins Gesicht. Dazu
intoniert sie … nun, so einen immer wiederkehrenden Singsang, wie
man ihn von Schamanen in Indianerfilmen kennt.«
»Von …? Okay,
Oliver, das klingt alles sehr abgefahren, aber komm jetzt bitte zum
Wesentlichen.«
»Das ist ihr
Sterbegesang.«
»Ihr Sterbegesang?«
Kotek wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Das hat sie
gesagt?«
»Ja. Sie behauptet
steif und fest, der Mörder von Fredl Schleißheimer würde
auch sie töten, und zwar bald. Ihre Tochter sei ebenfalls in großer
Gefahr, stünde aber unter einem mächtigen Schutz, deshalb könne
ihr der Mörder nichts anhaben. Und ehe du mit der Vermutung
daherkommst, dass die Frau uns etwas vorspielt, sage ich dir, du müsstest
sie jetzt sehen. Auf ihrer Stirn stehen dicke, trübe Schweißperlen.«
»Na ja, die hatte sie
vorhin während der Vernehmung auch schon«, wandte Kotek ein.
»Ihr ständig feucht glänzendes Gesicht sagt mir eher was
ganz anderes: Sie säuft, ist auf Drogen oder beides.«
»Dein zynischer
Pragmatismus ist diesmal wirklich fehl am Platz«, empörte sich
Stubenvoll, der aus einer erzkatholischen Familie stammte und für den
Kirche, Heimat und Familie an vorderster Stelle standen. »Ich sag
dir, die Frau hat Todesangst, und der Schweiß auf ihrer Stirn hat
sicher nichts mit dem eines Alkoholikers oder Junkies zu tun. Er ist nicht
nur trüb, sondern auch auffällig dunkel.«
»Meinst du etwa
dunkelrot? So wie der blutige Schweiß von Christus am Ölberg?«
»Ich wusste, du würdest
dich darüber lustig machen. Aber als Verantwortliche im Fall Schleißheimer
solltest du ihre massive Angst nicht nur als skurrile Fußnote abtun.«
Stubenvoll, der Chef der
Spusi, gehörte nicht zum Sechserpack, dem engeren Kreis um Jacobi.
Koteks Bemerkung vom blutigen Schweiß war natürlich eine Spitze
wider seinen Versuch gewesen, die Ermittlungen mit einem Hauch Mystik zu
versehen. Trotzdem schätzte sie seine Erfahrung zu sehr, als dass sie
die Beobachtung einfach ignoriert hätte. Jeder im Referat wusste
zudem, dass Jacobi derart bizarre Einsprengsel bei Ermittlungen besonders
berücksichtigt haben wollte. Wehe, man – oder frau –
unterließ das!
»Tu ich ja nicht,
Oliver«, sagte Kotek deshalb. »Dann biete Frau Heinrich jetzt
Polizeischutz an – für die nächsten drei Tage. Die Kosten
wird das
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