Dohlenflug
Referat hoffentlich verantworten.«
»Ich hab die Möglichkeit
schon angedeutet, aber umsonst. Sie hat nur den Kopf geschüttelt.
Sagt, die Polizei könne ihr nicht helfen, wahrscheinlich könne
ihr niemand mehr helfen.«
Kotek sprang nun endgültig
über den eigenen Schatten. »Na gut. Dann parkt ab morgen jemand
von unseren Leuten vor ihrem Haus, und zwar so lange, bis wir klarer
sehen. Wenn es sein muss, auch gegen ihren Willen. Lieber lasse ich mich
von Oskar wegen anfallender Kosten zusammenfalten, als mir vorwerfen zu
lassen, ich hätte ein Signal missachtet. Aber was anderes: Haben die
Gasteiner Kollegen auf der Gadaunerer Hochalm irgendeine Spur von Julie
entdeckt?«
»Nein, dort oben ist
sie ganz sicher nicht.«
»Und auf der
Laderdinger Alm? Ist da etwas entdeckt worden, das auf ihre Anwesenheit
hinweist?«
»Es sieht so aus, als wäre
vor Kurzem jemand in Regenmandls Hütte gewesen. Vermutlich er selbst,
als er Werkzeug holte, um den Laptop irgendwo außerhalb der Hütte
zu vergraben. In der Hütte ist der Laptop jedenfalls nicht. Auch
nicht im gut getarnten Keller unterm Fußboden, wo wir Ölzeug,
Reste einer Plastikplane und eine Rolle Klebeband gefunden haben.«
»Regenmandls
Anwesenheit gestern Nacht würde nicht zwangsläufig eine allfällige
frühere oder spätere Anwesenheit Julies ausschließen«,
philosophierte Kotek, indem sie Anleihen bei Sir Carl Popper nahm.
»Nun, da hast du sicher
recht«, räumte Stubenvoll ein. »Ich habe Werner
angewiesen, die Umgebung der Hütte in einem größeren
Radius abzusuchen. Leider negativ.«
»Das ist mir zu wenig.
Fordere doch bitte eine Hundestaffel an. Die Männer sollen die ganze
Alm morgen noch einmal gründlich absuchen.«
Im Obergeschoss ging eine Tür.
Feuersang stand auf der Freitreppe. »Melanie? Frau Schleißheimer
möchte mit dir reden.«
»Okay, Oliver«,
brachte Kotek das Handygespräch zum Ende, »melde dich bei mir,
falls ihr noch was findet. Ansonsten könnt ihr für heute abrücken.
Und morgen Vormittag nehmt ihr euch dann das Haus von Paul Marageter,
seine Wohnung im ›Hotel Bonavista‹ und seine anderen
gepachteten Bettenburgen vor. Leo wird dafür eure Anlaufstelle sein.«
Sie legte auf.
»Frau Schleißheimer
meint, über gewisse Dinge könne eine Frau leichter mit einer
Frau reden als mit einem Mann«, fuhr Feuersang fort. »An ihrem
Alibi vom Samstagnachmittag hält sie übrigens fest. Sie sei um
vier Uhr nachmittags zusammen mit Lotte Heinrich allein in deren Haus
gewesen.«
Salma Schleißheimer
trat hinter ihm aus dem Büro. »Schon eigenartig, welche neuen
Erfahrungen man mit Menschen machen muss, mit denen man nicht nur das Bett
geteilt hat«, sagte sie bitter. »Dabei verstehe ich immer noch
nicht, warum es mein, wohlgemerkt, echtes Alibi nicht sein darf, das
falsche, das Lotte ihrer Tochter und Johnny gibt, aber schon.«
»Das hat vermutlich
mehrere Gründe, Frau Schleißheimer«, sagte Kotek, den
Frust der Zeugin aufgreifend. »Einen Moment, ich komm zu Ihnen rauf
ins Büro. Leo, bist du so nett und bleibst einstweilen bei Chrissie?«
»Verdammt«,
begehrte Chrissie auf, »warum werd ich von solchen Gesprächen
von vornherein immer ausgeschlossen? Ist es denn ein Wunder, wenn bei so
einem Verhalten das Vertrauen zwischen Mutter und Tochter immer mehr
schwindet?«
»Deine Mutter,
Chrissie, kann nichts für unsre Arbeitsweise«, erklärte
Kotek und musste über die altkluge Ausdrucksweise des Mädchens
schmunzeln. »Zeugen oder Verdächtige werden grundsätzlich
einzeln vernommen, es sei denn, die Situation erfordert etwas anderes, zum
Beispiel ein Tandemverhör. Also sei friedlich. Ich habe dir vorhin
doch versprochen, dich auf jeden Fall mindestens noch ein Mal zu besuchen.
Dann wirst du auch wirklich alles erfahren, was du wissen musst.«
»Ein salomonischer
Satz, elastisch wie Kaugummi«, schmollte Chrissie nach wie vor,
musterte aber gleichzeitig neugierig den bulligen Leo Feuersang. So wie
ihn hatte sie sich schon immer diverse Figuren aus der klassischen
Mythologie vorgestellt, vor allem Satyrn und Kentauren. Ganz besonders
aber fiel ihr beim Anblick Feuersangs der Minotaurus im Labyrinth von
Kreta ein.
13
KOTEK SCHLOSS die Tür
hinter sich. Das Büro war nicht groß. Die Möblierung
bestand außer aus zwei Wandschränken, einer Stellage und einem
nierenförmigen
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