Dohlenflug
gesagt?«
»Nichts. Er hat das
schuldenfreie Haus mündelsicher auf sie überschreiben lassen und
einen Brief hinterlegt, in dem er verfügte, dass Notar Alexander
Czerwenka junior während seiner Abwesenheit zum Vormund von Lotte
bestellt werden sollte. Bis zu deren Volljährigkeit. Diesen Vorschlag
griff das Vormundschaftsgericht später tatsächlich auf. Karl
Heinrich selbst hatte währenddessen Österreich mit unbekanntem
Ziel verlassen und seine jüngere Tochter Stefanie mitgenommen.«
»Aber für Sie,
Frau Schleißheimer, war das Ziel keineswegs unbekannt, oder?«
»Nein, er wollte nach
Gran Canaria. Das wussten allerdings nur Eingeweihte, und die konnte man
an einer Hand abzählen. Lotte zeigte mir nach Jahren einen Brief von
Steffi, der eine Woche nach ihrer Abreise auf der Post in Las Palmas
abgestempelt worden war. Charlys und Steffis Verschwinden sorgte natürlich
für Gerüchte, und nicht zuletzt wirbelten Charlys geprellte Gläubiger
einigen Staub auf. Im Gegensatz zu ihnen hatte sich die Linzer Sparkasse
schadlos gehalten – dank Johnny, der am Verkauf der Innviertler
Liegenschaft selbst gut verdient hatte. Andere Banken und private Gläubiger
schauten durch die Finger.«
»Und was ergaben die
Ermittlungen der Behörden?«, fragte Kotek.
»Die erwähnten Gerüchte
und die Nachforschungen der Gendarmerie setzten die Quadriga tatsächlich
unter Druck. Deren Geld und Verbindungen konnten zwar juristisch relevante
Enthüllungen mit knapper Not verhindern, aber mit den Schweinereien
auf dem Alpl war es endgültig vorbei. Die Eltern der anderen
missbrauchten Kinder zogen übrigens von Gastein fort –
ausgestattet mit reichlich Schweigegeld.«
»Lotte Heinrich blieb
wenigstens das Haus, und sie konnte sich ein neues, eigenes Leben aufbauen«,
sagte Kotek.
»Allerdings«,
bestätigte Salma Schleißheimer. »Trotzdem wurde sie zunächst
durch ihre Schwangerschaft und die Geburt von Julie tagtäglich an ihr
altes Leben erinnert. Die damit verbundenen Gerüchte ließen sie
–«
»Ich weiß«,
unterbrach Kotek die Erzählung. »Sie hat sogar einen
Vaterschaftstest machen lassen und ihn veröffentlicht, um
klarzustellen, dass ihr Vater Karl nicht als Erzeuger von Julie in Frage
kam. Aber wer ist denn nun eigentlich der Vater von Julie? Ahnen oder
wissen Sie etwas darüber?«
»Lotte hat es nie
zugegeben, bis heute nicht. Aber wer sonst als der alte Häuslschmied
könnte es sein? Er hat sich Lotte immer reservieren lassen, ist
regelrecht süchtig nach ihrem kindlich-melancholischen Typ gewesen.
Nur wenn ihn besonders viel Alk oder Koks teilnahmslos hat werden lassen,
dann durften auch andere ran.«
»Wie alt war Häuslschmied
damals?«
»So Anfang siebzig,
aber er war fit und viril wie ein zwanzig Jahre jüngerer Mann. Dass
Lotte aus den USA zurückkam, hat er allerdings nicht mehr erlebt.
Herzinfarkt nach einer anstrengenden Bergtour. Er war eben in vielen
Belangen ein Grenzgänger.«
»Sie sagten vorhin, Häuslschmied
starb offiziell kinderlos. Sollte Julie tatsächlich seine Tochter
sein, steht ihr zumindest ein Pflichtteil seines Besitzes zu.«
»Dazu müsste sie
als seine Tochter anerkannt werden. Lotte denkt aber nicht daran, Julie zu
sagen, wer ihr Vater ist. Übrigens auch einer der Gründe, warum
sich Mutter und Tochter nicht sonderlich gut verstehen.«
»Das ist wohl leicht
untertrieben. Chrissie hat mir das Verhältnis zwischen Julie und
ihrer Mutter anschaulich beschrieben. Ihre Schilderung wird übrigens
von unsrer Spusi bestätigt. Julie hat ein ziemlich eigenständiges
Leben geführt und ließ sich kaum Vorschriften machen. Und ja,
sie war die Lolita Ihres Mannes, Frau Schleißheimer. Das wissen wir
von ihr persönlich, besser gesagt, von ihrem Tagebuch. Ist es da ein
Wunder, wenn die Bachblüten-Lotte Schweißausbrüche bei dem
Gedanken bekommt, dass ihre Tochter das freiwillig tut, wozu sie selbst
jahrelang gezwungen worden ist?«
Das Liebesleben ihres
Ehemannes interessierte Salma Schleißheimer ganz offensichtlich
nicht die Bohne, was Kotek nicht überraschte. Etwas anderes konnte
sie dagegen nicht nachvollziehen.
»Frau Schleißheimer,
man sieht Ihnen an, dass der Schmerz über den Verlust Ihres Gatten
Sie nicht gerade überwältigt. Und das ist kein moralinsaures
Werturteil, sondern ausschließlich eine Feststellung. Inzwischen weiß
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