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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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in der oberen
     Etage war das Signal für Amanda Häuslschmied. Wie eine junge
     Frau sprintete die hagere Seniorin durch den Salon ins Vestibül
     hinaus und schnurstracks nach links hinüber zu den Feuertüren,
     die Haupthaus und Garage voneinander trennten. Mit fliegenden Fingern zog
     sie den Schlüssel aus dem Schloss der ersten Tür, warf diese
     hinter sich zu, fummelte, während sie drinnen schon den Eindringling
     die Treppe herunterpoltern hörte, den Schlüssel wieder ins
     Schloss und sperrte aufatmend ab. Dasselbe tat sie auch mit der zweiten
     stahlblechbewehrten Tür – und war in Sicherheit. Wer immer sich
     jetzt in der Villa befand: Er hätte selbst mit einer schweren Axt
     mindestens eine Viertelstunde benötigt, um in die Garage zu gelangen.
     So konnte er nur ärgerlich mit der Faust auf die innere Tür
     einschlagen.
    Erst jetzt merkte die alte
     Frau, wie sehr ihre Hände und Knie zitterten und dass ihre Linke noch
     immer das Handy umklammerte. Ehe die Beine unter ihr nachgeben konnten,
     öffnete sie die Beifahrertür ihres BMW X5 und ließ sich in
     das Ledergestühl fallen.
    Noch während sie den
     Notruf betätigte, konnte sie etwas abseits vom Haus einen Wagen
     starten und eilig davonfahren hören.

 
    16
    »KATZE, DU MUSST
     AUFSTEHEN. Wir müssen nach Gastein.«
    Melanie Kotek öffnete
     ein Auge und blickte auf den Radiowecker. Fast sieben! Dann sah sie die
     blaue Jeans, das hellblaue Baumwollhemd, die unvermeidliche graue
     Lederjacke und die frisch rasierte knautschige Albert-Einstein-Visage
     unter der lässig nach hinten geföhnten weißgrauen Mähne:
     Oskar Jacobi stand fertig angezogen vor dem Himmelbett.
    »Wir?«, fragte
     sie ungnädig.
    »Ja, wir!«
    »Musst du morgen nicht
     zu diesem Europol-Kongress nach Wien?«
    »Morgen schon, aber
     eben nicht heute.«
    Wenn Jacobi diesen
     entschiedenen Ton anschlug, war es zwecklos, ihn daran zu erinnern, dass
     ein österreichischer Gendarmerieoberst üblicherweise nicht vor
     Ort ermittelte. Kotek versuchte erst gar nicht ihn umzustimmen.
    »Ich habe grad
     erfahren, dass Lotte Heinrich ermordet worden ist«, erklärte
     er. »Es sieht so aus, als hätte es in ihrem Haus eine heftige
     Auseinandersetzung gegeben.«
    Kotek hatte das Gefühl,
     kerzengerade im Bett zu stehen. Sie hatte eine böse Vermutung: Da würde
     noch ein dicker Hund nachkommen.
    »Aber das ist noch
     nicht alles«, sagte Jacobi prompt. »Julie, ihre Tochter, ist
     nach wie vor unauffindbar, und Regenmandl ist auch noch spurlos
     verschwunden. Hans hat ihn bereits zur Fahndung ausgeschrieben. Zu guter
     Letzt ist auch noch Amanda Häuslschmied, die Witwe von Hans Häuslschmied,
     heute Nacht in ihrer Villa überfallen worden. Die alte Frau konnte
     dem Einbrecher beziehungsweise der Einbrecherin allerdings entkommen. Und
     jetzt beeil dich! Wir sollten schon längst drinnen sein.«
    Mit »drinnen« war
     das Innergebirg, also Gastein, gemeint. Kotek graute bei dem Gedanken an
     Jacobis Rallye-Fahrstil. Ihr Partner war zwar schon fünfzig, fuhr
     aber besonders gern auf Landstraßen wie Walter Röhrl auf der
     Monte. Der Fall Schleißheimer schien ab jetzt Chefsache zu sein.
    Jacobi hatte das Schlafzimmer
     bereits verlassen und rief vom Flur aus: »Frühstück steht
     auf dem Tisch. Wastl und Stubi sind schon benachrichtigt und ein paar
     andere Telefonate noch zu erledigen. Auf drei Wagen werden Winterreifen
     aufgezogen, weil ein weiterer Wettersturz gemeldet ist. Spute dich!
     Abfahrt ist spätestens in einer halben Stunde.«
    Melanie Kotek verzichtete auf
     den Kalauer, Tote könnten ohnehin nicht mehr davonlaufen, seine Eile
     sei daher völlig unangemessen. Auch für den Spott über die
     Winterreifen fehlte ihr die Energie.
    Die Wucht des Gehörten
     drückte sie nieder und nahm ihr die Schlagfertigkeit. Dazu kamen die
     Selbstvorwürfe. Unmengen davon. Warum hatte sie die Todesahnungen der
     Bachblüten-Lotte gestern auf die leichte Schulter genommen und sie
     nach dem aufschlussreichen Besuch bei den Schleißheimers nicht ein
     zweites Mal verhört? Beim Abendessen hatte Feuersang sie sogar noch
     gefragt, ob eine zweite Vernehmung vorgesehen sei. Indem sie die auf den nächsten
     Tag verschoben und dem Wunsch nachgegeben hatte, zu einer christlichen
     Zeit nach Hause zu fahren, hatte sie bei Leo offene Türen eingerannt,
     aber schließlich leitete nicht er die Ermittlungen, sondern sie!
    Selbstvorwürfe und
     Gewissensbisse waren in ihrem Beruf

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