Dohlenflug
kontraproduktiv, das wusste Kotek
nicht erst seit gestern. Trotzdem ärgerte sie sich maßlos
über sich selbst, weil sie einen wichtigen Grundsatz missachtet
hatte. Dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben. Das predigte Jacobi immer.
Und sie war eben nicht in letzter Konsequenz drangeblieben, sondern lieber
heimgefahren, weil sie müde gewesen war und für diesen Tag genug
gehabt hatte.
Zum Glück konnte sie
sich in solchen Situationen auf die menschlichen Qualitäten Jacobis
verlassen. Weder beim Frühstück noch auf der Fahrt zum
Franz-Hinterholzer-Kai wies er sie auf ihr Versäumnis hin. Statt zu
kritisieren, was ohnehin nicht mehr zu ändern war, brachte er sie in
dem für ihn typisch knappen Stil auf den aktuellen Informationsstand.
Als sie am Vorabend längst
zu Bett gegangen war, hatte er noch Redl angerufen und ihn gebeten, nach
Julie Heinrich zu suchen. Major Lorenz Redl, einer vom Sechserpack, gehörte
zu jener kleinen Gruppe von Kollegen, denen Jacobi vorbehaltlos vertraute.
Lenz, wie er von Freunden genannt wurde, war nicht nur ein fähiger
Ermittler, sondern auch der beste Spurenverwerter, der Jacobi zur Verfügung
stand. Nicht nur ein Mal hatte er die amtliche Spusi mit diesem seinem außergewöhnlichen
Talent düpiert. Wenn also überhaupt jemand Julie finden konnte,
dann er. Und obwohl Lenz selbst gerade einen eigenen Fall bearbeitete, sah
er in der Bitte Jacobis eine Verpflichtung. Dementsprechend lakonisch war
sein Kommentar am Telefon ausgefallen: Beim ersten Morgengrauen wollte er
im Laderdinger Alpl sein. Sollte sich das Mädchen dort oben befinden
und noch leben, würde er es entdecken, und zwar bald. Sollte er es
bis Mittag nicht gefunden haben, würde man wohl Leichenhunde
dazuholen müssen.
17
DIE ANDEREN warteten schon
abfahrbereit im Hof des LGKs. Offiziell leitete Kotek noch immer die
Ermittlungen, aber diesmal war der Chef persönlich mit von der
Partie. Das war etwas Besonderes und wertete diesen Fall gewaltig auf.
Niemand hätte unter diesen Voraussetzungen gewagt, zu spät zu
kommen.
Jacobi war schon im normalen
Dienstalltag keine Quasselstrippe, wenn er aber selbst zu Tatorten
mitfuhr, wurde er auf dem Weg dorthin besonders wortkarg. Umso lauter
heulten die Sirenen auf den drei Dienstwagen, anders wäre ein zügiges
Vorankommen im Morgenverkehr auf der Alpenstraße auch gar nicht möglich
gewesen.
Neben Kotek fuhr im RS 4 noch
Feuersang mit. Die Sichtung des Tatorts im Heinrich-Haus und die
Beaufsichtigung der Haussuchung bei Marageter waren die Aufgaben des
Chefinspektors und seines Kollegen Haberstroh, während die beiden
Gendarmerie-Offiziere beabsichtigten, nach Heißingfelding zur Häuslschmied-Villa
weiterzufahren. Nach der Vernehmung der Besitzerin sollte Kotek den Oberst
beim »Schlössl« auf der anderen Talseite absetzen, wo er
sich mit einem Schulfreund verabredet hatte. Sie selbst wollte sich mit
den Hofgasteiner Kollegen über die weiteren Aktivitäten
kurzschließen.
Im von Stubenvoll gefahrenen
VW Touran saßen zwei weitere Kollegen von der Spurensicherung des
LGK und Dr. Sebastian Pernauer. Wegener hatte zu Hause in Salzburg bleiben
müssen, er schien denselben Magen-Darm-Virus aufgegabelt zu haben wie
der Spusi-Chef zuvor und hatte laut Dr. Pernauer schon am Vorabend »echt
scheiße« ausgesehen. Natürlich wurde er trotz seines
Protests krankgeschrieben, schließlich wusste Stubenvoll selbst am
besten, wie sich der Kollege fühlte.
Nahe der Autobahnauffahrt
Salzburg Süd bei Anif drehte Jacobi die Lautstärke des Radios
runter und brach sein Schweigen. »Zunächst mal die News aus der
Gerichtsmedizin: Wastl hatte mit der Erstdiagnose recht – wie
meistens. Alfred Schleißheimer ist am Samstagnachmittag zwischen fünfzehn
und siebzehn Uhr gestorben. Der Schlag gegen die Schläfe mit dem
abgerundeten Gegenstand wäre allein nicht tödlich gewesen, aber
er hat das Opfer betäubt, was dem Mörder, einem Linkshänder,
die Führung der folgenden Stiche mit einem handelsüblichen
Schlachtmesser beträchtlich erleichtert hat. Der Stich in die Karotis
war hundertprozentig tödlich. Schleißheimer wäre daran
innerhalb von Minuten verblutet, hätte nicht der zweite Stich, ganz
professionell neben dem Brustbein unter dem linken Rippenbogen hindurch in
den rechten Vorhof geführt, schon zuvor sein Leben beendet.«
Weder Kotek
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