Dohlenflug
dritte Opfer des Mörders werden sollen«, meinte Kotek. »Was
denkst du, Oskar?«
»Dasselbe wie du.
Entweder wollte Q sie sofort töten oder zunächst nur entführen,
um ihr eine Info abzupressen. Ein Telefonat, das die Häuslschmied später
geführt hat, enthält einen diesbezüglichen Hinweis. Es war
à la longue nicht vorgesehen, sie am Leben zu lassen, das ist
anzunehmen. Leo, erzähl weiter.«
»Zum Glück für
die Häuslschmied waren dem Eindringling die Räumlichkeiten in
ihrer Villa nicht vertraut«, fuhr Feuersang fort. »Zu spät
bemerkte er, dass die alte Dame über eine Verbindungstür ihres
Boudoirs ins Schlafzimmer des verstorbenen Gatten geflüchtet war, von
dort über eine interne Wendeltreppe in den Herrensalon im Erdgeschoss
und schließlich in die angebaute Doppelgarage. Letztere trennen zwei
dicke Feuerschutztüren vom Haupthaus. Als Häuslschmied beide Türen
hinter sich zugesperrt hatte, hatte sie also alle Zeit der Welt, über
ihr Handy den Notruf abzusetzen. Zwar hatte der Einbrecher bis dahin die
jaulende Alarmanlage ignoriert, aber nun blieb ihm nichts anderes übrig,
als das Feld zu räumen.«
»Ein nervenstarker Typ«,
warf Kotek ein, »und eine ebenso abgebrühte Dreiundachtzigjährige,
findet ihr nicht?«
Feuersang fühlte sich
bemüßigt, diesen Eindruck abzuschwächen. »Na ja, die
Häuslschmied soll immerhin gezittert haben wie ein Lämmerschweif,
als Höllteufel und die anderen Gasteiner Kollegen sie aus ihrer
Garage kommen sahen. Andrerseits hat sie trotz ihres Schocks einen Diesel
starten und wegfahren gehört.«
»Sag ich ja: ganz schön
abgebrüht«, beharrte Kotek auf ihrer Meinung. »Sie manövriert
den Eindringling wie ein Profi aus, verschafft sich dabei Zeit für
den Handyanruf und kann sich danach sogar noch an den Diesel erinnern.
Wenn das mal keine Leistung für eine Dreiundachtzigjährige ist.«
»Laut eurem gestrigen
Bericht fahren sowohl Regenmandl als auch Marageter einen Diesel«,
merkte Jacobi an, während er einen Porsche mit Blaulicht von der
linken Spur scheuchte, nachdem er es mit der Lichthupe vergeblich versucht
hatte.
»Vielleicht hat Melanie
mit der Abgebrühtheit doch nicht so unrecht«, sah sich
Feuersang genötigt einzuräumen. »Nur Minuten später
hat die Häuslschmied noch in Anwesenheit der Kollegen von der Streife
Lotte Heinrich angerufen und –«
»Um drei Uhr morgens?«,
entfuhr es Kotek.
»Allerdings. Sie wollte
sie zur Rede stellen, konnte ihren Frust aber nur am Anrufbeantworter
ablassen, was ihren Grimm noch erheblich steigerte. Sie war der Meinung,
die Heinrich sei zu feig, den Anruf entgegenzunehmen.«
Kotek blickte den im Fond
sitzenden Feuersang nun direkt an. »Aber die war dazu schlicht und
einfach nicht mehr in der Lage?«
Feuersang nickte. »Um
die Zeit war sie höchstwahrscheinlich bereits tot. Wastl wird uns später
Näheres sagen. Die Heinrich muss ihren Mörder selbst
reingelassen haben. Spuren gewaltsamen Eindringens wie etwa an der
Terrassentür der Villa Häuslschmied sind nirgendwo zu entdecken.
Dafür sieht es in Julies Zimmer, in dem die Ermordete gefunden wurde,
ziemlich wüst aus.«
»Warum sind die
Kollegen überhaupt sofort zur Bachblüten-Lotte gefahren?«,
fragte Kotek. »Es war doch mitten in der Nacht.«
»Amanda Häuslschmied
war felsenfest davon überzeugt, die Gespielin ihres verblichenen
Gatten sei der Eindringling gewesen«, erklärte Feuersang.
»Sie hat die Heinrich massiv des versuchten Mordes beschuldigt und
von den Streifenbeamten verlangt, sie auf der Stelle mit dem Vorwurf zu
konfrontieren. Dass die Verdächtigte trotz mehrfacher Aufforderung,
sich zu melden, nicht ans Telefon ging, schien die Behauptung der Häuslschmied
noch zu untermauern, und die Kollegen sahen Handlungsbedarf. Hans hat mir
den Monolog der Häuslschmied überspielt, er war auf Lotte
Heinrichs Anrufbeantworter gespeichert. Hör ihn dir mal an, Oskar
kennt ihn schon.« Feuersang rief das Gespräch aus der Mailbox
auf und reichte Kotek sein Handy.
Zunächst hörte sie
die automatische Ansage auf dem Anrufbeantworter Lotte Heinrichs, dann den
Piepton und schließlich Amanda Häuslschmied: »He, Lotte,
geh ruhig ran! Warst ja auch nicht zu feig, mir in meinem eigenen Haus auf
den Pelz zu rücken.« Kein Zweifel. Es war die Stimme einer
alten Frau, aber sie klang weder brüchig noch zittrig,
Weitere Kostenlose Bücher