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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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verdächtig macht. Und? Wem schreibt der Kriminologe dieses
     typische Verhaltensmuster zu?«
    »Dem Unschuldigen«,
     antwortete Feuersang mit langem Gesicht.
    »Richtig. Auch die
     blutige Malerei in der Rettenwänd-Hütte ist nicht das Werk von
     Lotte Heinrich. Kein Mörder, der noch halbwegs bei Verstand ist, würde
     einen so direkten Hinweis auf sich selbst liefern.«
    »Und was ist mit Julie,
     der Lolita? Kann sie nicht Amok gelaufen sein?«
    »Natürlich dürfen
     wir grundsätzlich nichts ausschließen, aber die Lolita als Mörderin
     ist einfach unlogisch. Komm, wir fahren. Ich hab so ein blödes Gefühl,
     als würde es morgen hoch hergehen.«
    »Hast du etwa jetzt
     auch schon Vorahnungen wie die Bachblüten-Lotte?«
    »Weißt du was?
     Ich bin einfach zu müde, um mich heute noch auf dein Niveau
     hinabzubegeben. Wir müssen Julie morgen unbedingt finden …«
    »Vorausgesetzt, sie
     lebt noch.«
    »Mal bitte nicht den
     Teufel an die Wand. Wenn wir sie haben, wird es für uns leichter, auf
     ihre Mutter Druck auszuüben. Die Heinrich muss die Schlüsselinfo
     ausspucken, ehe Regenmandl und Co. ihre Anwälte in Stellung gebracht
     haben, sonst sehen wir ziemlich alt aus.«

 
    15
    DIE DREIUNDACHTZIGJÄHRIGE
     Amanda Häuslschmied war weder schreckhaft noch ängstlich wie
     manch andere Dame in ihrem Alter und wohnte schon mehr als zehn Jahre
     allein in dem großen Haus im Hofgasteiner Marktflecken Heißingfelding.
     Die weiße Jugendstilvilla war vor wenigen Jahren gründlich
     renoviert worden, hatte aber wie jedes Haus, egal ob alt oder neu, seine
     eigenen Geräusche, besonders nachts. Häuslschmied kannte jedes
     einzelne von ihnen und hatte einen leichten Schlaf.    
    Deshalb entging ihr auch das
     scharfe Knacken unter ihrem Schlafzimmerfenster nicht, mochte es auch noch
     so kurz und flüchtig gewesen sein.
    Genau eine Etage tiefer
     befand sich die Terrassentür zum Garten. Das Geräusch eben dort
     hätte eindeutiger nicht sein können: Jemand versuchte in die
     Villa einzudringen.   
    Die alte Frau blickte auf
     ihren Radiowecker. Zwei Uhr fünfundvierzig. Sie setzte sich im Bett
     auf, langte nach dem Handy neben dem Radiowecker und wartete darauf, dass
     die Alarmanlage losheulte.
    Und sie heulte los –
     deutsche Wertarbeit –, und wie! Jeder normale Einbrecher hätte
     nun die Beine in die Hand genommen, um möglichst viel Land zwischen
     sich und die Villa zu bringen. Aber die alte Dame ahnte, dass die Person,
     die eben die Lichtschranke durch das Aufsprengen der Terrassentür
     unterbrochen hatte, anderes vorhatte, als nur ein paar silberne Löffel
     mitzunehmen.
    Rasch glitt sie aus dem Bett,
     schlich barfuß hinüber in ihr Boudoir und sofort zur Tapetentür,
     die in das ehemalige Schlafgemach ihres verstorbenen Gatten führte.
     Sie öffnete sie, ohne das geringste Geräusch zu verursachen,
     blieb dann bewegungslos stehen und lauschte.
    Ein leises Ächzen des
     Parkettbodens im großen Salon war zu hören. Das vertraute
     typische Geräusch ging von einer bestimmten Stelle an der Tür
     zur Eingangshalle aus. Der Eindringling hatte also nicht vor, sich lange
     im Erdgeschoss aufzuhalten, sondern wollte in die erste Etage hinauf.
     Dorthin zu gelangen war einem Ortsunkundigen nur vom Vestibül aus
     über die beiden gezogen-gewendelten Betontreppen möglich.
     Letztere waren mit dicken Spannteppichen ausgelegt, die fast jeden Schritt
     verschluckten. Ein Einbrecher, den eine Alarmanlage nicht verjagte, würde
     bestimmt auch nicht davor zurückschrecken, die Tür zu ihrem
     Schlafzimmer einzutreten, um möglichst rasch das zu erledigen,
     weshalb er gekommen war.
    Sie hatte freilich nicht vor,
     darauf zu warten. Auch nicht, der Bedrohung mit der vorsintflutlichen
     Nullacht zu begegnen, die noch immer im Nachttischchen ihres verstorbenen
     Gatten lag. Stattdessen verließ Amanda Häuslschmied das zweite
     Schlafzimmer über die diskrete stählerne Wendeltreppe zum
     Herrensalon hinunter. Von dieser Möglichkeit hatte ihr Mann zu
     Lebzeiten Gebrauch gemacht, wann immer es ihm beliebte.
    Sie wusste, dass die untere
     Tapetentür sich ebenso leise öffnen ließ wie die obere.
     Was aber, wenn sich die Person doch noch im Parterre aufhielt?
    Sie nahm allen Mut zusammen,
     drückte die Tür einen Spaltbreit auf – und wartete.
    Nur Augenblicke später
     übertönte ein Knall das Heulen der Alarmanlage. Das Krachen und
     Splittern der gewaltsam geöffneten Schlafzimmertür

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