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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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Regen geschützt.    
    Redl nahm eines der Hölzer
     geräuschlos vom Stoß, verkeilte es unter der Türklinke und
     verharrte lange Zeit regungslos. Wieder horchte er, ob seine Anwesenheit
     bemerkt worden war, aber er hörte nur das stereotype Geräusch,
     das ein Büchsenöffner in Aktion verursacht. Immerhin konnte er
     so die Person orten, die das Gerät betätigte. Er schlich an der
     rechten Hüttenflanke entlang nach vorn und lugte kurz durch ein
     Seitenfenster.
    Am Rand einer Sitzecke an
     einem Esstisch hockte ein etwa vierzehnjähriges dunkelblondes Mädchen
     in Jeans und rotem Sweater. Die Beschreibung passte auf Julie Heinrich.
     Lustlos stocherte sie in ihrem Dosenfrühstück herum und machte
     einen sichtlich deprimierten Eindruck. Dann und wann hob sie lauschend den
     Kopf und sah dabei zum offenen Fenster hinaus auf den Forstweg, der vom
     Tal herauf zur Hütte führte.   
    Beim Blick in die Stube hatte
     Redl den Innenriegel an der Eingangstür bemerkt. Er war zwar nicht
     vorgeschoben, aber in dem vorsintflutlichen Türschloss steckte ein
     Schlüssel. Die Überlegung, ob abgeschlossen war, machte der
     ehemalige MEK-Offizier mit einem wuchtigen Tritt gegenstandslos: Die Hüttentür
     flog auf und krachte an die dahinterstehende Kommode, das Mädchen am
     Frühstückstisch zuckte wie von einem Schlag getroffen zusammen,
     und alle Farbe wich aus seinem Gesicht.
    »Keine Angst, Julie,
     ich tu dir nichts«, versuchte Redl es zu beruhigen. Von seinem
     Anorak rann das Regenwasser in Bächen auf den Hüttenboden.
     »Ich bin Kriminalbeamter. Bitte, bleib sitzen.«
    Die Angesprochene brachte mit
     offenem Mund keinen Pieps heraus. Stattdessen sprang sie taumelnd hoch,
     stieg auf die Eckbank, auf der sie gesessen hatte, und wollte durch das
     offene Fenster flüchten. Aber Redl war schon bei ihr und riss sie zurück.
     Der neuerliche Schock beendete die Stimmlosigkeit der Jugendlichen.
    »Aua! Bist deppert,
     Alter?«, schrie sie hysterisch. »Lass mich sofort los! Du
     brichst mir ja den Arm!«
    »Übertreib nicht
     so, Julie. Setz dich einfach wieder hin«, sagte Redl gelassen. Dass
     das Mädchen ihn duzte, kommentierte er nicht – vielleicht fiel
     es ihm als Pinzgauer auch gar nicht auf.
    »Du bist doch Julie,
     oder?«
    Die Gefragte antwortete
     nicht, folgte jedoch notgedrungen seiner Anweisung. Er schloss das
     Fenster, ohne die Halbwüchsige aus den Augen zu lassen, und
     wiederholte seine Frage.
    »Ja, verdammt. Ich bin
     Julie«, bestätigte sie patzig. »Und wer bist du? Kannst
     du dich überhaupt ausweisen?«
    »Ich heiße Lorenz
     Redl, Major beim Landesgendarmeriekommando Salzburg, Referat 112,
     Abteilung für Vergehen gegen Leib und Leben, und natürlich kann
     ich mich ausweisen.« Redl langte in die Innentasche seines Anoraks,
     um Marke und Ausweis herauszuholen. Da griff das Mädchen unvermittelt
     nach hinten auf die Anrichte neben der Sitzecke. Metall blitzte auf, aber
     wieder war der ehemalige Kommandooffizier schneller. Der harte Griff an
     ihrem Handgelenk ließ Julie abermals aufschreien, und das Messer
     fiel polternd auf den Tisch.
    »Ein Schlachtmesser«,
     sagte er anzüglich, obwohl es sich nur um ein häufig
     geschliffenes Küchenmesser handelte. Während er es an sich nahm
     und demonstrativ in eine Asservatentüte steckte, fragte er streng:
     »Was sollte diese dumme Aktion?«
    »Ich … ich weiß
     nicht.« Sie zuckte mit den Achseln. »Als Sie in Ihre Tasche
     griffen, hab ich plötzlich wieder die Panik bekommen.« Wohl
     eher aus Unsicherheit denn aus Höflichkeit hatte sie zur förmlichen
     Anrede gewechselt.
    »Julie, das alles ist
     kein Spiel«, sagte er ernst. »Ein anderer Kollege an meiner
     Stelle hätte dich jetzt vielleicht an- oder gar erschossen. In
     Notwehr selbstverständlich. Jedes Gericht würde das genauso
     sehen, denn im Moment hält man dich für die Mörderin von
     Alfred Schleißheimer.«
    Während er die
     Dienstmarke mit dem Bundesadler und den Ausweis vor sie auf den Tisch
     legte, hoffte er, sie mit dieser Provokation aus der Reserve zu locken. Er
     hatte das Glück des Tüchtigen.
    »Das ist doch voll
     krass!« Ohne den Ausweis näher zu begutachten, brach Julie in
     Tränen aus. »Aber genau das hab ich erwartet. War ja klar, dass
     diese Sauerei in der Rettenwänd-Hütte an mir hängen bleibt.«
    Ihre Stimme klang erstickt,
     von der präpotenten rotzigen Göre war nicht mehr viel übrig.
     Vor Redl saß nur noch ein

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