Dohlenflug
Regen geschützt.
Redl nahm eines der Hölzer
geräuschlos vom Stoß, verkeilte es unter der Türklinke und
verharrte lange Zeit regungslos. Wieder horchte er, ob seine Anwesenheit
bemerkt worden war, aber er hörte nur das stereotype Geräusch,
das ein Büchsenöffner in Aktion verursacht. Immerhin konnte er
so die Person orten, die das Gerät betätigte. Er schlich an der
rechten Hüttenflanke entlang nach vorn und lugte kurz durch ein
Seitenfenster.
Am Rand einer Sitzecke an
einem Esstisch hockte ein etwa vierzehnjähriges dunkelblondes Mädchen
in Jeans und rotem Sweater. Die Beschreibung passte auf Julie Heinrich.
Lustlos stocherte sie in ihrem Dosenfrühstück herum und machte
einen sichtlich deprimierten Eindruck. Dann und wann hob sie lauschend den
Kopf und sah dabei zum offenen Fenster hinaus auf den Forstweg, der vom
Tal herauf zur Hütte führte.
Beim Blick in die Stube hatte
Redl den Innenriegel an der Eingangstür bemerkt. Er war zwar nicht
vorgeschoben, aber in dem vorsintflutlichen Türschloss steckte ein
Schlüssel. Die Überlegung, ob abgeschlossen war, machte der
ehemalige MEK-Offizier mit einem wuchtigen Tritt gegenstandslos: Die Hüttentür
flog auf und krachte an die dahinterstehende Kommode, das Mädchen am
Frühstückstisch zuckte wie von einem Schlag getroffen zusammen,
und alle Farbe wich aus seinem Gesicht.
»Keine Angst, Julie,
ich tu dir nichts«, versuchte Redl es zu beruhigen. Von seinem
Anorak rann das Regenwasser in Bächen auf den Hüttenboden.
»Ich bin Kriminalbeamter. Bitte, bleib sitzen.«
Die Angesprochene brachte mit
offenem Mund keinen Pieps heraus. Stattdessen sprang sie taumelnd hoch,
stieg auf die Eckbank, auf der sie gesessen hatte, und wollte durch das
offene Fenster flüchten. Aber Redl war schon bei ihr und riss sie zurück.
Der neuerliche Schock beendete die Stimmlosigkeit der Jugendlichen.
»Aua! Bist deppert,
Alter?«, schrie sie hysterisch. »Lass mich sofort los! Du
brichst mir ja den Arm!«
Ȇbertreib nicht
so, Julie. Setz dich einfach wieder hin«, sagte Redl gelassen. Dass
das Mädchen ihn duzte, kommentierte er nicht – vielleicht fiel
es ihm als Pinzgauer auch gar nicht auf.
»Du bist doch Julie,
oder?«
Die Gefragte antwortete
nicht, folgte jedoch notgedrungen seiner Anweisung. Er schloss das
Fenster, ohne die Halbwüchsige aus den Augen zu lassen, und
wiederholte seine Frage.
»Ja, verdammt. Ich bin
Julie«, bestätigte sie patzig. »Und wer bist du? Kannst
du dich überhaupt ausweisen?«
»Ich heiße Lorenz
Redl, Major beim Landesgendarmeriekommando Salzburg, Referat 112,
Abteilung für Vergehen gegen Leib und Leben, und natürlich kann
ich mich ausweisen.« Redl langte in die Innentasche seines Anoraks,
um Marke und Ausweis herauszuholen. Da griff das Mädchen unvermittelt
nach hinten auf die Anrichte neben der Sitzecke. Metall blitzte auf, aber
wieder war der ehemalige Kommandooffizier schneller. Der harte Griff an
ihrem Handgelenk ließ Julie abermals aufschreien, und das Messer
fiel polternd auf den Tisch.
»Ein Schlachtmesser«,
sagte er anzüglich, obwohl es sich nur um ein häufig
geschliffenes Küchenmesser handelte. Während er es an sich nahm
und demonstrativ in eine Asservatentüte steckte, fragte er streng:
»Was sollte diese dumme Aktion?«
»Ich … ich weiß
nicht.« Sie zuckte mit den Achseln. »Als Sie in Ihre Tasche
griffen, hab ich plötzlich wieder die Panik bekommen.« Wohl
eher aus Unsicherheit denn aus Höflichkeit hatte sie zur förmlichen
Anrede gewechselt.
»Julie, das alles ist
kein Spiel«, sagte er ernst. »Ein anderer Kollege an meiner
Stelle hätte dich jetzt vielleicht an- oder gar erschossen. In
Notwehr selbstverständlich. Jedes Gericht würde das genauso
sehen, denn im Moment hält man dich für die Mörderin von
Alfred Schleißheimer.«
Während er die
Dienstmarke mit dem Bundesadler und den Ausweis vor sie auf den Tisch
legte, hoffte er, sie mit dieser Provokation aus der Reserve zu locken. Er
hatte das Glück des Tüchtigen.
»Das ist doch voll
krass!« Ohne den Ausweis näher zu begutachten, brach Julie in
Tränen aus. »Aber genau das hab ich erwartet. War ja klar, dass
diese Sauerei in der Rettenwänd-Hütte an mir hängen bleibt.«
Ihre Stimme klang erstickt,
von der präpotenten rotzigen Göre war nicht mehr viel übrig.
Vor Redl saß nur noch ein
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