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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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Häufchen Elend mit starrem Blick.
     »So war es wahrscheinlich auch gedacht: Sowie ich wieder zu
     Bewusstsein komme, Fredls blutüberströmte Leiche sehe und das
     blutige Messer in meiner Hand, da sollte ich durchdrehen … und mich
     so als Mörderin anbieten!«
    Die letzten Worte schrie sie
     schluchzend und verstummte dann. Redl hütete sich, sie in dieser
     Phase mit Zwischenfragen zu bedrängen.
    »Nur – ich hab
     nicht durchgedreht«, setzte sie nach einer langen Pause leise fort,
     als wäre sie darüber selbst erstaunt. »Zunächst bin
     ich nah dran gewesen, das geb ich gern zu. Als ich dann aber kreuz und
     quer durch den Karteisenwald ins Angertal hinuntergestolpert bin, hatte
     ich Zeit nachzudenken. Ich bin die ganzen naheliegenden Klischees im Geist
     durchgegangen und hab sie alle als unlogisch abgehakt.«
    »Welche Klischees? Was
     meinst du?«, fragte Redl, erstaunt über die erwachsene
     Ausdrucksweise der Vierzehnjährigen.
    »Zum Beispiel
     Folgendes: Ich, eine durchgeknallte Minderjährige, hätte meinen
     erwachsenen Lover wegen Beziehungsstress massakriert. Oder: Ich hätte
     ihn im Drogenrausch abgestochen, schließlich war ich ja eine Zeit
     lang total weggetreten. Oder: Meine Mom hätte den sogenannten
     Kinderschänder durch den Mord endlich zur Verantwortung gezogen.«
    Ihr Gesicht verzog sich
     wieder zu einer weinerlichen Grimasse. »Aber das alles ist doch
     Bullshit! Ich hätte Fredl nie was getan – und schon gar nicht
     als zugedröhnter Junkie! Von hartem Stoff hab ich immer die Finger
     gelassen. Aber nicht, weil ich so vernünftig bin, von wegen. Ich hab
     einfach Angst vor dem Zeug. Gut, Fredl und ich haben manchmal gutes Gras
     geraucht, das er aus Holland mitgebracht hat. Aber das war’s dann
     auch schon, warum also hätte ich ihn abmurksen sollen? Er hat mir
     Freiheiten ermöglicht, die mir Mom noch in Jahren nicht zugestehen
     wird. Aber sie hat ihn erst recht nicht abgestochen, sie hat doch nicht
     die blasseste Ahnung von unsrer Beziehung, nicht die geringste. Ehrlich
     gesagt bin ich sowieso nicht gerade scharf drauf, ihr unter die Augen zu
     treten.«
    »Ich nehm’s dir
     ab, dass du Schleißheimer nicht umgebracht hast.« Redl überging
     bewusst ihre letzte Anmerkung.
    Als er einen dankbaren Blick
     erntete, legte er rasch nach: »Auch einige von meinen Kollegen sind
     dieser Meinung, aber wenn wir deine Unschuld beweisen wollen, brauchen wir
     deine Unterstützung, um den wahren Täter aufzuspüren.«
    »Was … was
     erwarten Sie von mir?«
    Das ließ sich Redl
     nicht zwei Mal fragen: »Erzähl mir, was du seit Samstag erlebt
     und getan hast, und bemüh dich dabei um größtmögliche
     Genauigkeit und Vollständigkeit.« Er nahm einen Taschenrekorder
     aus seinem Rucksack. »Du hast doch nichts dagegen, wenn ich das
     Gespräch aufnehme und mir nebenher noch Notizen mache?«
    Sie schüttelte den Kopf.
     Nein, sie hatte nichts gegen eine Aufzeichnung ihrer Erlebnisse der
     letzten drei Tage. Auf keinen Fall wollte sie das alles länger allein
     mit sich herumtragen.
    Angesichts von so viel
     Bereitwilligkeit verspürte Redl nun doch Gewissensbisse. Das Mädchen
     vertraute ihm, während er ihm den Tod der Mutter verschwieg, um an
     Informationen zu kommen. Aber hätte er Julie jetzt mit der größten
     Katastrophe in ihrem jungen Leben konfrontiert, so wäre es mit den
     Infos sicher Essig gewesen.

 
    20
    HEISSINGFELDING am südlichen
     Rand von Bad Hofgastein hatte sich in den letzten Jahrzehnten zu dem
     gemausert, was für die Wiener der Bezirk Hietzing ist: eine Gegend für
     angesehene Alteingesessene, für wohlhabende Zugezogene und soziale
     Aufsteiger. Wer sich hier ein Haus leisten konnte, hatte es mehr oder
     weniger geschafft.
    Unter all den stattlichen
     Anwesen von Managern, Steuerberatern, Anwälten, Ärzten, Maklern,
     Bankern und Architekten fiel die Häuslschmied-Villa hinter dem Heiß-Hügel
     nicht besonders auf, und trotzdem entdeckte Kotek schon von der Hügelkuppe
     aus den gut in Schuss gehaltenen weißen Jugendstilbau. Zielsicher
     dirigierte sie Jacobi dorthin.
    Sie parkten den Audi vor der
     Doppelgarage, die sich, obwohl wesentlich später gebaut, stilistisch
     gut in das Gesamtensemble fügte.
    Das Eingangsvordach, höchstens
     drei Meter entfernt, hätten sie ohne Schirme nur aufgeweicht
     erreicht. Die Intensität des Niederschlags nahm stetig zu, und da und
     dort mischten sich bereits Schneekristalle unter die

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