Dohlenflug
Regentropfen.
Die Haustür öffnete
sich, ehe Kotek anläuten konnte. Amanda Häuslschmied hatte die
telefonisch angemeldeten Kriminalbeamten bereits erwartet. Sie trug ein
schwarzes Kostüm über einer weißen Bluse mit geplättetem
Kragen, wie sie in den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts modern gewesen war, und schwarze Sämisch-Schnallenschuhe.
Ihre silberweißen Haare hatte sie im Nacken zu einem schlichten
Knoten zusammengesteckt.
Dem hageren Antlitz sah man
das Alter an, aber der Blick aus den blauen Augen ließ Jacobi sofort
an einen Falken denken. Es fiel ihm schwer, den wachen Gesichtsausdruck
mit Demenz in Verbindung zu bringen, auch wenn das äußere
Erscheinungsbild von Senioren oft täuschte.
Die rüstige Greisin
erwiderte Koteks und seinen Gruß nicht allzu freundlich. »Bitte,
kommen Sie mit in den Salon«, sagte sie kurz angebunden, wandte sich
ruckartig um und ging den Gästen voraus.
Auch nachdem sie auf einer
nicht ganz zum Jugendstil passenden, dafür aber bequemen Sitzgarnitur
im Wohnzimmer Platz genommen hatten, wurde Amanda Häuslschmied nicht
umgänglicher.
»Wenn ich ehrlich bin,
kann ich mir nicht vorstellen, was Sie von mir wollen, Herr Oberst«,
begann sie, während sie in einer abgewetzten Handtasche kramte.
»Ich habe Höllteufel und seinen Leuten noch in der Nacht alles
gesagt, was es zu sagen gab. Aber bitte – da Sie nun schon mal da
sind: Was wollen Sie wissen?« Sie blickte bei ihrer Frage nur Jacobi
an, seine Begleiterin schien sie nicht wahrzunehmen.
In Oskars Beisein verhalten
sich Damen in fortgeschrittenem Alter immer gleich, dachte Kotek amüsiert
und begann mit einer unverfänglichen Frage: »Leben Sie allein
in diesem großen Haus, Frau Häuslschmied?«
Verwundert über die
triviale Einleitung, noch mehr aber über die Vorwitzigkeit einer
Untergebenen, hob die Greisin die dünnen Augenbrauen, bevor sie sich
doch noch zu einer Antwort bequemte. »Ja, ich lebe allein hier. Zwei
Mal die Woche kommt eine Haushaltshilfe, sie wäscht, putzt und kauft
für mich ein. Das Essen lass ich mir kommen. Na ja, manchmal, wenn’s
mir Spaß macht, koch ich auch selbst. Und Sie sind also wirklich
extra aus Salzburg hierhergefahren, um mir solche Fragen zu stellen?«
»Die wichtigen kommen
noch«, beeilte sich Kotek zu erklären. »Die wichtigste
betrifft übrigens Ihre Sicherheit. Die Person, die in Ihr Haus
eingedrungen ist, könnte diesen Versuch wiederholen.«
»Das, Frau …
äh?«
»Kotek, Melanie Kotek«,
rief sich die Vergessene in Erinnerung.
»Also, Frau Kotek, das
glaube ich, ehrlich gesagt, nicht«, widersprach die alte Dame
gelassen. »Ich lag mit meiner Vermutung Lotte Heinrich betreffend
zwar falsch, aber der wahre Täter wird bestimmt nicht so verrückt
sein, es noch einmal zu probieren, wenn es hier von Polizei nur so
wimmelt.«
»Derselbe Täter
hat drei Tage nach dem ersten Mord den zweiten begangen, quasi vor unseren
Augen«, gab die Ermittlerin zu bedenken.
»Nicht unbedingt ein
Ruhmesblatt für Sie«, merkte Häuslschmied spitz an, aber
Kotek ließ sich nicht provozieren.
»Sie wollen also nicht,
dass wir Sie unter Polizeischutz stellen? Es wäre ja nur für ein
paar Tage.«
Die Dreiundachtzigjährige
zuckte mit den schmalen Schultern. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können.
Ich meine, ich habe nichts dagegen, halte es aber für … äh
…«
»Überflüssig?«,
sprang Kotek ein.
»Genau, für überflüssig.
Ich fürchte mich jedenfalls nicht.«
»Haben Sie denn eine
Vermutung, wer der Einbrecher gewesen sein könnte, nun, da Frau
Heinrich nicht mehr in Betracht kommt? Sie haben ja mehrere Personen
ziemlich unverblümt der schrankenlosen Gier bezichtigt.« Koteks
sehr direkte Anspielung war Häuslschmied sichtlich unangenehm. Plötzlich
wirkte sie wie eine ertappte Missetäterin, blieb aber stumm und
zuckte nur wieder mit den Achseln.
Die Kriminalbeamtin
beschloss, Klartext zu reden: »Frau Häuslschmied, wir haben
Ihren Anruf bei Lotte Heinrich auf Band. Dass Ihre einstige Rivalin zu
diesem Zeitpunkt –«
»Rivalin? Das ist eine
ganz und gar unpassende Bezeichnung«, unterbrach Häuslschmied
entrüstet.
»… zu diesem
Zeitpunkt bereits tot war, tut dabei nichts zur Sache«, fuhr Kotek
ungerührt fort. »Sie erwähnen einen Hort, also einen
Schatz, auf den es vier Personen
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