Doktor auf Abwegen
Bettgenossinnen.»
Die Tür öffnete sich. Sir Lancelots Herz tat einen gewaltigen Sprung. Miss MacNish trug ihren Wellensittich auf der Hand.
«Miss MacNish», sagte Amelia demütig. «Wollen Sie mir gütigst verzeihen, wenn ich Ihre Gefühle verletzt habe? Wir Amerikaner sind, wie Sie wissen, manchmal recht unüberlegt —»
«Sir Lancelot, ich möchte hiermit meinen Abschied nehmen. Ich will in keinem Hurenhaus arbeiten.»
Er runzelte die Stirn. «Was sagten Sie da?»
«Lassen Sie bitte meine Sachen zu meiner Schwester nach Putney schicken. Ich hatte sie für einen solchen Fall bereits fix und fertig gepackt.»
«Nur noch eine Minute -» Amelias Stimme klang wie eine Säge. Ihr Blick gleißte wie eine Lötlampe. «Wenn eine Dame eine Nacht unter dem Dach eines Gentleman verbringt, ist damit keineswegs die Voraus-
Setzung gegeben, daß sie zur Dirne gestempelt wird —» Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. «Von Dienstboten.»
«Dienstboten?» kreischte Miss Mac Nish. «Ich bin Sir Lancelots Wirtschafterin.»
«Er hat Sie in Dienst genommen, nicht wahr? Aber ja, zum Teufel, alle Menschen sind gleich, ich bin eine gute Demokratin. Doch Sie haben nicht das Recht, derart grob zu sein», sagte sie wütend. «Mir gegenüber jedenfalls nicht. O. k.? Behalten Sie Ihre dreckigen Gedanken für sich.»
«Dreckig?» schrie Miss MacNish auf. Dann sah Sir Lancelot interessiert zu, wie sie unter der Wucht von Amelias Attacke zusammenschrumpfte. «Vielleicht war ich ein bißchen zu vorschnell», stotterte sie. «Ich hatte nicht die Absicht, zu einem Gast Sir Lancelots respektlos zu sein.»
«Sie hatten nicht?» sagte Amelia. «Es ist Ihnen aber geglückt.»
«Ich wurde in Edinburgh sehr streng erzogen», fuhr Miss MacNish unterwürfig fort. «Noch als erwachsene Frau hielt ich Sex für eine Tageszeit.» Die beiden anderen starrten sie schweigend an. «Ich hatte kaum Gelegenheit, der Sache auf den Grund zu gehen, weil ich immer nur mit Rob Roy zusammenlebte.»
«Mit wem?» fragte Sir Lancelot stirnrunzelnd.
Sie hielt den Vogel hoch, der «Guntag» sagte. «Sir Lancelot, ich will Ihnen noch einmal eine Chance geben.»
«Ja, wirklich?»
Sie sagte gnädig: «Ich ziehe meine Kündigung zurück.»
«Gut. Dann schmeiße ich Sie hinaus.»
Miss MacNish blickte ihn entgeistert an. «Soll ich das so verstehen, daß sie freiwillig auf meine Dienste verzichten?»
«Gewiß.»
«Aber...das ist doch eher empörend», sagte sie verblüfft.
«Ich glaube, die Regierung hat für einen Gerichtshof gesorgt, an den Sie sich wenden können, wenn Sie sich von mir ungerecht behandelt fühlen.»
«So etwas werde ich nicht tun.» Sie reckte sich zu ihrer vollen Höhe. Der Wellensittich flatterte heftig und begann zu plappern. «Ich werde es mir angelegen sein lassen, Sie nie mehr auf dieser Welt eines Blickes zu würdigen, Sir Lancelot. Im Jenseits sind solche Vorsichtsmaßnahmen überflüssig.»
Die Tür fiel ins Schloß. Sie saßen da, ohne ein Wort zu sprechen. Sir Lancelot blies die Backen auf. «Amelia, ich danke Ihnen. Seit Monaten habe ich mich für diesen Augenblick gestählt.»
«Warum haben Sie’s nicht schon früher getan?» fragte sie, noch immer aufgebracht.
«Es kam mir so schwierig vor wie einst dem Macbeth, seine Lady zur Räumung von Glamis zu bewegen.»
«Aber bedenken Sie doch die Unannehmlichkeiten, die ihm später erspart geblieben wären.»
«Lancelot, deine Eingangstür ist offen», ertönte die muntere Stimme des Dean aus dem Vorraum. Sir Lancelot stöhnte. Es war zu spät, um den Dean noch abzuwimmeln. «Welch Drama spielt sich da in aller Frühe ab? Ich sah gerade deine Haushälterin mit ihrem Wellensittich das Haus verlassen —»
Der Dean blieb auf der Schwelle des Speisezimmers stehen, seine Augenbrauen krümmten sich wie zwei auf eine Herdplatte gefallene Raupen.
«Ms. Witherspoon», stellte Sir Lancelot Amelia vor, wobei er den Dean scharf ins Auge faßte. «Die Dame aus Amerika, die ich dir gegenüber erwähnte.»
«Nein, wirklich, Lancelot», rief der Dean verwirrt aus. «Sie sieht aber gar nicht wie eine Hündin mit einem Knochen aus.»
«Oh, besten Dank», sagte Amelia. «Heute morgen überbietet sich jeder an Komplimenten.»
«Ich meine, die einzigen literarischen Damen, die ich bisher kennengelernt habe, waren sozusagen in Pergamenthaut gebunden.» Der Dean faßte sich endlich und setzte sich. «Ich darf doch?» Er rieb sich die Hände und griff nach der Kaffeekanne. «Schon zum
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