Doktor auf Abwegen
Frühstück eine Verabredung, was? Ihr Amerikaner seid wirklich übereifrig. Ich persönlich halte das Frühstück nicht für eine gesellige Mahlzeit.»
«Oh nein, ich auch nicht. Aber Sir Lancelot und ich haben die Nacht hier gemeinsam verbracht.»
«Also, Lancelot, hoffentlich kommt das der Studentenzeitung nicht zu Ohren», stotterte der Dean. «Ich kann sowieso nicht lange hierbleiben. Ich bin froh, dich angetroffen zu haben, weil ich mit Hamilton Tosker eine unglaubliche Entdeckung gemacht habe. Was für ein Industriekapitän! Was für ein Wohltäter der Menschheit!»
«Ich persönlich glaube ja, daß seine Unterwäsche aus dem Ärar stammt, aber ich maße mir kein Urteil über Geschäftsethik an.»
«Die Idee mit dem Fertigteil-Hospital macht glänzende Fortschritte.» Der Dean ignorierte Sir Lancelots Bemerkung. «Wir diskutieren sie heute bei einem weiteren Arbeitslunch. Da fällt mir übrigens ein, daß ich meine Vorlesung über die Schilddrüse noch nicht abgesagt habe. Alles geht wie geschmiert, weil Tosker die richtigen Kontakte mit den richtigen Stellen hat. Sogar die bedeutendsten Politiker zeigen sich bereit, über ihren eigenen Schatten zu springen, um ihm gefällig zu sein. Was die Ärzte betrifft, so stehen sie geradezu Schlange. Ich habe bereits einen der jüngeren Chirurgen des St.-Swithin angeworben — Name tut nichts zur Sache —»
«Ja, der ist verteufelt raffgierig», sagte Sir Lancelot.
«Es wird daher bald eine Vakanz im Stab der Fachärzte eintreten.» Der Dean kippte die Kaffeekanne, entdeckte aber, daß sie leer war. «Weißt du, woher die Toskers eigentlich stammen? Aus Spratt’s Bottom.»
«Ein äußerst gesunder Ort, offenbar», murmelte Amelia.
«Ich glaube wirklich, die deutsche Luftwaffe hätte unserem Land einen großen Dienst erwiesen, wenn sie 1940 das Heilige-Grab-Hospital getroffen hätte», überlegte der Dean. «Oder, noch besser, die Zeppelins hätten das schon im Jahr 1915 tun sollen. Jedenfalls will Hamilton Tosker Spratt’s Bottom durchstöbern und versuchen, den einen oder anderen Verwandten aufzuspüren. Vielleicht hofft er dabei auf einen besonders prächtigen Kerl zu stoßen. Wieso gibt’s keinen Kaffee mehr?» fragte er gereizt.
«Weil ich Miss MacNish hinausgeschmissen habe.»
«Aber wer wird von jetzt an für dich kochen?» fragte der Dean verblüfft.
«Soll’s eben niemand tun. Grundsätze sind wichtiger als warme Mahlzeiten.»
«Ich kann kochen», erklärte Amelia plötzlich. «Nicht viele Speisen, aber Omeletten und gegrillten Käse. Und im Abtauen von Eisschränken und Öffnen von Dosen bin ich unschlagbar. Wie wär’s, wenn ich Ihnen heute abend Ihr Dinner bereite, Lancelot?»
«Meine liebe Amelia, welch reizender Vorschlag. Hören Sie: Warum bleiben Sie nicht noch ein Weilchen hier? Bis dieses blödsinnige Bunter’s Hotel wieder aufmacht? Sie können Miss MacNishs Logis beziehen. Es ist völlig separiert, hat ein starkes Türschloß, das Miss MacNish noch durch zwei lange stählerne Riegel, eine Kette und eine Alarmanlage verstärkt hat.»
«Das ist eine Idee», sagte Amelia nachdenklich. «Schließlich ist ein Hotelzimmer in einer fremden Stadt immer nur eine luxuriöse Einzelzelle.»
«Was ist jetzt schon wieder, Dean?» fragte Sir Lancelot.
«Du weißt doch, bald kommt die Woche der studentischen Narrenpossen mit dem satirischen Aufzug der Fachärzte -»
«Lionel, die Studenten, du und Miss MacNish, ihr habt alle nur schmutzige Gedanken im Kopf.»
«Ja, und mir gefiel auch gar nicht der Blick, den mir der Wellensittich zuwarf», sagte Amelia.
7
Frühmorgens am darauffolgenden Montag stand ein junger Mann an der Ecke der Apricot Avenue in Spratt’s Bottom. Er war untersetzt, sah aber gut aus mit seinem gepflegten Haar und dem dunkelblauen Anzug. Er trug eine schwarze Diplomatentasche. Die Avenue war lang und gerade, durch exakt gesetzte, haargenau gleiche Ebereschen vor der Morgensonne geschützt und mit sauber gestutztem Liguster, Buchsbaum und Lorbeer gesäumt. Der junge Mann starrte gedankenverloren auf die Hausnamen, die durchwegs «Eichhörnchen», «Mentone» oder «Pilgers Ruh» zu lauten schienen.
Auf der Fahrbahn wimmelte es von Minis, Imps, Dafs und Golfs, gelenkt von Frauen, die so schlampig aussahen, als wären sie gerade erst aus dem Bett gerissen worden. Neben ihnen saßen Männer in anständigen Stadtanzügen. Die Gehsteige waren von weiteren dunkelgekleideten Männern begangen, die in dieselbe Richtung
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