Doktor auf Abwegen
einer Kneipe zu lunchen, für deren Bier ich einstehen kann.»
Sie fragte verdutzt: «Warum haben Sie mich eigentlich eingeladen, Sie auf einer sentimentalen Reise zu begleiten?»
«Ja, stimmt, es ist eine sentimentale Reise. Aber nicht in dem Sinn,' den Sie meinen.»
Sie lächelte. «Sie sind in keinem einzigen Sinn sentimental, Lancelot.»
«Mein Beruf unterbindet das. Gleich zu Beginn unserer Ausbildung lernen wir, einen eisernen Vorhang zwischen Fühlen und Denken herabzulassen. Können Sie sich ausmalen, was geschähe, wenn wir uns emotionell mit unseren Patienten befaßten? Oder wenn wir emotionell auf das eingingen, was sie uns erzählen? Sie würden lieber sterben, als zu uns zu kommen. Wie die Dinge stehen, kann ein Mann oder eine Frau dem Arzt absolut alles mitteilen — möge es noch so widerlich, pervers oder lächerlich sein —, ohne dadurch die geringste Zurechtweisung oder Überraschung hervorzurufen.»
«Und das ist der Vorteil des Arztes gegenüber uns anderen schwachen Menschen?»
«Es ist unser schwacher Punkt. Wir können einfach nicht verstehen, wie gewaltig, wenn auch idiotisch und selbstzerstörerisch, die Menschen von ihren Emotionen hin und her gerissen werden. Deshalb haben es ja so wenige Arzte in der Politik weit gebracht. Dr. Clemenceau und Dr. Jean Paul Marat ausgenommen.»
Sie setzten sich vom Fluß weg in Richtung Kings Parade in Bewegung. «Wenn wir schon von Emotionen sprechen —» Amelia hielt kurz inne. «Warum versuchten Sie eigentlich nicht, mit mir ins Bett zu gehen?»
Sir Lancelot fragte unruhig: «Haben Sie’s erwartet?»
«Nun ja, ich kam nicht, um mich operieren zu lassen.»
«Wahrscheinlich fiel es mir nicht ein.»
«Nicht sehr schmeichelhaft.»
«Ich muß in meinem Privatleben sehr vorsichtig sein. Ich muß die Meinung meiner Kollegen respektieren. Die führende Position, deren ich mich im St.-Swithin erfreue, hängt in hohem Maße davon ab, daß man mich für einen Supermenschen hält - nicht nur in der Chirurgie.»
«Die Ansichten Ihrer Kollegen sind seit zwanzig Jahren überholt.» |
«Ist das nicht die übliche Distanz, aus der man die Moral anderer betrachtet? Der Dean hatte völlig recht. Die Studenten sind bösartige Affen, die jeden Skandal schon von weitem riechen. Letztes Mal, als gewisse Gerüchte umgingen, schrieben sie für ihre Weihnachtspantomime ein lästerliches Lied, das fast den Untergang des Hauses herbeiführte. Das Opfer war noch dazu ein Psychiater — von dem dergleichen durchaus vorauszusetzen war. Das Lied erschien sogar in Private Eye.» Sir Lancelot erschauerte bei diesen zwei W orten, die sogar dem Hof der Königin Elisabeth lähmendes Entsetzen einjagen. «Hoffentlich fanden Sie mich nicht ungebührlich achtlos?» fügte er eilends hinzu.
«Nein, ich fand Sie nur ungewöhnlich. Und wie kommen wir zu dieser Kneipe mit dem Nektarbier?»
«Mittels Punt.»
«Bin ich für ein Punt richtig angezogen?» rief sie.
«Ein Punt ist ein Fahrzeug, in dem jede Frau so hinreißend aussieht wie die Garbo an ihrem Höhepunkt», versicherte er ihr.
Sie mieteten ein Punt an der Silver-Street-Briicke, auf der allmorgendlich die Bewohner Newnhams eifrig radelnd den Cam überqueren. «Seit etlichen Jahren hab ich kein Punt mehr bestiegen», gestand Sir Lancelot, der sein dunkles Jackett auszog, seine roten Hosenträger zur Schau stellte und schließlich die Ärmel seines weißen Hemdes hinaufkrempelte. Die Kreissäge behielt er auf dem Kopf. «Obwohl man zweifellos den Trick nie verliert. Wie beim Radfahren. Ich werde Sie an den Hinterseiten entlangstaken.»
«An wessen Hinterseiten?» erkundigte sich Amelia, die sich auf den Kissen zu seinen Füßen niederließ.
«Den Hinterseiten der Colleges. Ihre freundlichsten Gesichter wenden sie dem Fluß zu. Wir werden am Trinity vorbeifahren, wo Newton das Gesetz der Schwerkraft formuliert hat. Die Schönheit des kann ich Ihnen nicht schildern, weil sie unschilderbar ist.»
Er hatte den Rhythmus des Stakens bald heraus. Aus dem knorrigen Kahn schossen frische Triebe. Er kam sich vor, als hätte er wieder einmal eine Anatomievorlesung in Cambridge geschwänzt.
«Sie sind ja ein richtiger Fachmann», sagte Amelia bewundernd, während sie ihre Finger im Wasser dahintreiben ließ.
«Es ist denkbar einfach. Solange man nicht so ungeschickt ist, die Stange im Schlamm festzurammen.»
«Nur etwas beeinträchtigt die Atmosphäre.»
«Ja?» fragte er bestürzt.
«Als gute Amerikanerin
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