Doktor auf Abwegen

Er schlug die Oberin frohgemut aufs Gesäß. «Es wird Privatbetten geben für jeden, der für sie zahlen will», schwärmte er. «Und Freibetten für jeden, der’s nicht kann. Derselbe Standard überall, bei Herztransplantationen genauso wie beim Fressen. Privatbehandlung für die Arbeiter! Hier brauchen wir das verdammte OP nicht mal nach Mekka auszurichten. Was haltet ihr davon?» fragte er hingerissen.
    Der Dean blickte die Oberin verwirrt an. «Es könnten sich da verschiedene technische Probleme ergeben. Zum Beispiel: Einwände von seiten des Ministeriums, der Staatsbeamten — »
    «Erzähl mir nichts von diesen aufgeblasenen Staatsbeamten», unterbrach ihn Hamilton verächtlich. «Die sind wie die Räucherheringe, die sie zum Frühstück essen - zweigesichtig, rückgratlos und stinkig.»
    «Ich weiß natürlich, daß du höherenorts nicht ohne Einfluß bist», beeilte sich der Dean zu sagen. «Aber wo könntest du in Spratt’s Bottom das entsprechende Bauland finden?»
    «Kleine Fische, kleine Fische», tat er den Ein wand ab. « Eine Pracht.» Er küßte seine Fingerspitzen. «Verewigt für alle Zeiten den Namen von Spratt’s Bottoms erster Familie. Da kann nichts schiefgehen. Meine Einfälle lassen sich recht gewinnbringend an, was, Lionel? Vielleicht hab ich die Probleme des ganzen Gesundheitsdienstes damit gelöst.» Er blickte auf seine Uhr. «Grade rechtzeitig für die Morgenblätter daheim.» Er wies mit dem Kopf auf das Wandtelefon. «Pearl, gib mir den Stand von Sydney Anilin. Dann gehen wir alle feiern. Lionel, du sorgst dafür, daß wir nicht auf dem trockenen sitzen. Sinnlos, eine Amme zu bezahlen, wenn du dann an einer trockenen Titte baumelst.»
    «Mr. Tosker», sagte die Oberin, schon etwas liebenswürdiger, «wiewohl ich Ihr Stellenangebot zu schätzen weiß - und selbst glaube, daß Sie niemand Besseren als mich finden könnten —, kann ich meinem Personal nicht gestatten, im Dienst zu trinken.»
    «Ach, seien Sie doch nicht so puritanisch», redete er ihr zu und klapste ihr wieder auf das Gesäß. «Es gibt nichts, worauf ich jetzt mehr Lust hätte als ein paar Flaschen Bier aus dem Eisschrank und eine Fleischpastete.» Die Augen des Philanthropen begannen bei der Erinnerung an sein Nationalgericht zu funkeln: an den löschpapierähnlichen Blätterteig, die nicht identifizierbare Fülle, die Verzierung mit glänzendroter Tunke, die nach heißer Bodenpolitur schmeckt — Hamilton goß Tomatensoße über alles, Camembert, gebratenes Moorhuhn und Kaviar nicht ausgenommen -, und an ihren spritzenden, schmierigen Saft, der bald Kinn, Krawatte und Zehenspitzen bedeckt. «Ich bin hungrig wie ein Wolf, könnte jetzt sogar Maden und Larven essen. Oder Känguruh. Haben Sie Känguruhfleisch gekostet, Oberin?»
    «Es gehört nicht zur üblichen Krankenhauskost.»
    «Sie kochen es zusammen mit Ihren Schuhen. Wenn Ihre Schuhe gar sind, ist auch das Känguruh fertig.» Er lachte. «Nicht viel anders ist’s beim Kakadu, nur nehmen Sie da statt der Schuhe eine Axt. Bin heute kreuzfidel, weil ich an diesem Tag meine gute Tat getan hab», verkündete er selbstgefällig. «Aber, Ehrenwort, ich tu noch eine andre.» Er nahm aus seiner oberen Rocktasche einen gefalteten Zettel und reichte ihn dem Dean. «Ein heißer Tip für Ascot heut nachmittag. Lies vor, Lionel.»
    Der Dean entfaltete das Papier. Haben Pferde aber komische Namen, dachte er. Er verkündete: «Hufherzig.»
    «Nicht ich», sagte Hamilton. «Die Oberin ist gemeint.»
    Er lachte während des ganzen Wegs durch den Hauptkorridor. Die Oberin folgte ihm mit der Miene eines Gouverneurs der Botany Bay, der überlegt, ob zwei- oder dreihundert Peitschenhiebe die angemessene Strafe für dieses Verbrechen seien.
     

15
     
    «Gar kein so schlechtes Dinner», sagte der Dean am Abend dieses Tages. «Sogar recht gemütlich. Ich danke dir, Lancelot, daß du mich als Gast des Vorsitzenden eingeladen hast.» Die beiden saßen im Fond des neuen Rolls, in den Smoking gequetscht, und entfernten sich soeben von einem Restaurant in Soho. «Dieses Rugby Club-Lied hat sich einigermaßen in die Länge gezogen. Dennoch finde ich es recht erfreulich, daß sich die Jungen so viel Anatomie gemerkt haben. Sie sind alle eher früh aufgebrochen, nein?»
    «Sie gingen sich einen Film ansehen.»
    «Zu dieser Stunde? Aber die letzte Vorstellung hat doch schon lange begonnen?»
    «Nicht aber die spezielle Vorstellung, die sie sich ansehen