Doktor auf Abwegen
verbergen.»
«Was für eine Heuchelei! Die meisten Ärzte sind geile Exhibitionisten. Warum eröffnen Sie sich nicht, Lancelot? Ich weiß, daß Sie mich lieben.»
«Ja?»
«Natürlich tun Sie’s», informierte sie ihn leidenschaftlich. «Und Sie möchten mich heiraten. Auch das weiß ich. Ich wußte es am ersten Tag, als wir einander begegneten. Ich war kaum erst im St.-Swithin angelangt. Alles jagte mir Schrecken ein: die Schwestern, die Ärzte, die Patienten. Es war mein erster Morgen als Operationshilfsschwester. Ich stand da, in Maske und Kittel, und fürchtete mich zu Tode, daß ich in Ohnmacht fallen oder erbrechen oder etwas Steriles berühren oder sonst was Schändliches tun könnte. Ich versuchte mich hinter dem Rollwagen mit den Anästhetika zu verstecken. Und dann sah ich plötzlich, wie Ihre Augen über den Patienten hinweg die meinen suchten. Das inspirierte mich mit Entschlußkraft, mit Mut. Ich werde es nie vergessen.» Sie seufzte tief. «Es war der wundervollste Augenblick meines Lebens.»
«Soweit ich mich erinnere, hatte ich bemerkt, daß Sie auf der Sauerstoffzufuhr standen.»
«Typisch für Sie, typisch!» Sie drückte heftig seine Hand. «Immer versuchen Sie, sich so unromantisch wie ein Betonmischer zu geben. Sie hatten natürlich ein neues Mädel im OP bemerkt. Alle Chirurgen schauen sich zuerst die Schwestern und dann erst den Patienten an. Wir haben da zwar nicht viel zur Schau zu stellen, die Kittel bringen unsere Figur genausogut zur Geltung wie eine Papiertüte ein paar Orangen. Aber meine Augen sind zum Glück sehr anziehend.» Sie drückte seine Hand von neuem. «Hätte ich nicht in Ihrem jupitergleichen Blick ein Aufleuchten gesehen, wäre ich aus dem OP und dem Hospital geflohen, und meine Begabung für die Krankenpflege wäre für immer verloren gewesen.»
«Ich freue mich, daß ich Ihre Laufbahn mit so wenig Arbeitsaufwand von meiner Seite fordern konnte.» Er fragte sich, wie er eine immer persönlicher werdende Konversation rasch ihrem Ende zuführen könne. Im Sprechzimmer war das eine einfache Sache, man schob ein Thermometer in den Mund des Betreffenden.
Sie seufzte von neuem, und ihre Brüste erbebten leicht wie der Schaum auf einem übervollen Glas Bier. «Seit damals, Lancelot, haben wir miteinander eine Menge erlebt, was? Im St.-Swithin stieg ich zu Ihrer OP-Schwester und dann zu Ihrer Stationsschwester auf. Wir teilten uns in dieselbe Arbeit, in dieselben Patienten. Mit all der ungeheuren Genugtuung und all der bitteren Demütigung, die das mit sich bringen kann.»
«Es trifft zu, daß die Medizin, genauso wie die Ehe, Mann und Frau im stählernen Spinnennetz gemeinsamer Erfahrungen aneinanderbinden kann», räumte er ein. «Aber ich glaube, Florence, Sie dramatisieren das Ganze ein wenig. Sie neigten auch auf der Station schon dazu. Gott weiß, wie oft Sie mich aus dem Bett riefen wegen eines akuten Abdomens, und dann waren es nur Winde.»
Sie lächelte neckisch. «Vielleicht wollte ich Sie nur sehen? Im Nachtdienst fühlte ich mich immer entsetzlich einsam, und die Hausärzte waren alle auf einmal frisch verheiratet. Und Sie kamen zu meiner Hochzeit.»
«Ja, ich schenkte Ihnen einen Schirmständer.»
«Ich glaube, beide wußten wir da nur zu gut, daß meine Heirat unklug war», sagte sie in tragischem Tonfall. «Sie waren es, den ich wirklich liebte. Ich versuchte es auszudrücken, aber Sie legten meine Signale als das Verhalten einer verläßlichen Stationsschwester aus.»
«Wahrscheinlich kann ein Mann eine Frau nur dann zur Entfaltung ihrer vollen Leistungsfähigkeit bringen, wenn sie in einem gewissen Maß in ihn verliebt ist. Aber Sie übersehen, daß ich zu diesem Zeitpunkt selbst glücklich verheiratet war.»
«Das habe ich nicht übersehen. Ich spreche von Ihrer Vergangenheit nur in Zusammenhang mit Ihrer Zukunft.» Sie schmiegte sich an ihn. Sie fühlte, wie er erbebte. «Ihre Ehe endete tragisch, Lancelot. Meine versandete.»
«Interessant — heutzutage werden weniger Ehen zerstört als vor fünfzig Jahren. Die Scheidung nimmt zu, aber der Tod nimmt ab. Ich finde es stets erbitternd, daß unsere berufsmäßigen Moralisten nie die helle Seite sehen wollen. Aber vermutlich sind Moralisten von Natur aus düsteren Gemüts.»
«Schweigen Sie!» Sie setzte sich kerzengerade auf. «Das ist schon wieder einer Ihrer Tricks, Lancelot. Das Generalisieren, das Philosophieren. Auf diese Weise können Sie Ihre Emotionen im Eisschrank aufbewahren und fest
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