Doktor auf Abwegen
«Amelia, ich muß schon sagen — ich finde Sie etwas kleinlich.»
Sie lachte leise. «Da haben Sie’s gleich. Aber ich werde Sie immer und ewig lieben, liebster Lancelot. Was um vieles besser ist, als Sie zu heiraten, nicht wahr?»
Er zuckte die Achseln. «Vielleicht haben Sie recht. Wären Sie nicht eine so vernünftige Frau, hätte ich Sie sowieso nicht darum gebeten.» J
«Küß mich noch einmal.»
Sie zog seinen Kopf herab. Die Oberin erschien in der Schlafzimmertür, ihr Kleid über dem Arm.
«Ach ja», sagte Sir Lancelot. Nur einmal hatte er bisher dieses Gefühl gehabt: damals, als ihm die Niere eines Ölscheichs in die Hand rutschte. «Ich glaube, die Damen kennen einander?»
«Was hat diese Amerikanerin in Ihrem Schlafzimmer zu suchen?»
«Sie kam ihr Nachthemd holen.»
«Lancelot —!» Der nackte Arm der Oberin umklammerte den Türpfosten. «Mein Gott! Sie alter geiler Bock!»
«Hier ist es schon, Amelia», sagte Sir Lancelot zuvorkommend. «Soll ich es in die Lancet einwickeln?»
«Ich war bereit, Euch meine Gunst zu schenken, edler Herr», sagte Amelia neckisch. «Doch war ich nicht gewärtig, dafür Schlange stehen zu müssen. Oder gehört dies zu den Betriebsproblemen, die Sie hier haben - zum Bettenmangel?»
«Ich dulde nicht einen Augenblick, daß Sie mich so abscheulich behandeln», rief die Oberin.
«Und ich dulde nicht länger, daß Sie halbnackt durch mein Haus spazieren», sagte Sir Lancelot schroff.
«Wenn ich einen Vorschlag machen darf», begann Amelia.
«Nein, das dürfen Sie nicht», fuhr er sie an. «Die Situation ist nicht geeignet vor Vorschläge, Kommentare, hysterische Anfälle oder ähnlichen Blödsinn. Das Ganze ist nichts anderes als eine höchst unglückselige Kombination von Umständen, und je eher wir sie überwinden, desto besser.»
«Aye, aye, Captain Bligh», sagte sie schicksalsergeben. «Ich verziehe mich vom Quarterdeck und geh nach Hause.»
«Ich weiß, was Sie vorhatten», rief die Oberin mit funkelnden Augen. «Sie wollten eine Orgie inszenieren.»
«Kann ich mein Nachthemd zurückhaben?» fragte Amelia Sir Lancelot. «Bevor Sie es entzweireißen.»
«Ein Frauenleib genügt Ihnen nicht zur Befriedigung. O nein. Nach zweien lechzt Ihre Lüsternheit. Sie waren immer schon ein gieriges Biest. Nie gaben Sie mir eine Bonbonnière, ohne selbst die Hälfte davon zu verschlingen.»
«Schscht!» Sir Lancelot wies angstvoll auf Miss MacNishs Tür.
«Ich kehre ins Heilige Grab zurück», sagte die Oberin. Sie hatte ihre Würde wiedergewonnen und schickte sich an, zu gehen. «Ich bin an diesem Abend genug durch den Schmutz gezogen worden.»
«Vergessen Sie nicht, Ihr Kleid anzuziehen, Süße», rief ihr Amelia nach. Sie tätschelte Sir Lancelots Wange. «Bye, Darling. Rufen Sie mich im Hotel an, bevor ich Samstag frühmorgens abreise. Vielleicht können wir noch unser unerledigtes Geschäft zu Ende führen? Aber schaffen Sie sich vorher noch einen Taschenkalender an.»
Im Nachbarhaus hörte, tief in seinem Lehnstuhl sitzend, einen Kognakschwenker in der Hand, mit halbgeschlossenen Augen und den Kopf voll mit seiner glänzenden Ansprache an das House of Lords, der Dean Sir Lancelots Haustür ins Schloß fallen. Seine Neugier und der Drang, über die Unternehmungen seines Nachbarn auf dem laufenden zu sein, brachten ihn sofort auf die Beine und zum offenen Erkerfenster. Im Schein einer Straßenlaterne bemerkte er, daß eine Frau eilends Sir Lancelots Haus verließ, wobei sie ihr Kleid anzulegen bemüht war. Ein zweiter Blick überzeugte ihn, daß es die Oberin des Heiligen-Grab-Flospitals war. Einen Augenblick später erschien eine andere Frau, die ihr Nachthemd in die Höhe hielt, um es nach Rissen zu prüfen. Er identifizierte sie als die amerikanische Schriftstellerin. Die Brauen des Dean tanzten im immer heftiger werdenden Rhythmus von Staunen zu Entsetzen und Bewunderung.
«O Gott, das muß man ihm lassen», stammelte er. «Das ist ein Mann! Und noch dazu in diesem Alter! Seine Testikel rasen offenbar wie Turbinen. Aber diese Chirurgen haben ja nur für Gedärme und Geschlechtsdrüsen etwas übrig.»
Sir Lancelot stand noch immer auf der Schwelle zu seinem Schlafzimmer, die Hände tief in den Taschen vergraben und dumpf pochenden Herzens. Er wurde durch das Geräusch zurückgleitender Riegel, klirrender Ketten, rasselnder Schlüssel in die Wirklichkeit zurückgeholt. Er stöhnte. Bevor er noch dem Sturm seiner Gefühle Ruhe gebieten konnte,
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