Doktor auf Abwegen
würde er unter der glühenden Empörung seiner Haushälterin schwitzen müssen. Er riß sich zusammen.
«Ich muß mich auf der Stelle bei Ihnen aufrichtig entschuldigen», begann er, als sich die Tür öffnete, «daß sich meine beiden Gäste, die jetzt das Haus verlassen haben, so rüpelhaft benommen haben. Offenbar hatten sie zu gut gegessen.»
Er hielt inne. Miss MacNish trat, ihn starr ins Auge fassend, auf ihn zu. Sie war barfuß, trug ein langes Flanellnachthemd, das dunkle Haar in zwei Zöpfe geflochten, um die schottisch gemusterte Schleifen gebunden waren. Sie glich einer Schlafwandlerin. Beängstigende Berichte vom plötzlichen Tod jener Leute, die man in einem solchen Zustand aufgeweckt hatte, kreuzten durch seinen Kopf.
«Miss MacNish —» sagte er begütigend.
«Sir Lancelot! Ich komme zu Ihnen.»
«Zu mir? Weshalb?»
«Sir Lancelot, ich hab alles gehört. Jedes Wort. Sie waren in den Händen zweier verderbter Frauen. Aber Sie haben sich von Ihnen befreit, Sie sind rein geblieben.» Sie stand dicht vor ihm. Er bemerkte ihre Brüste unter dem Nachthemd, sie sahen aus wie der Kopfschmuck von Hochland-Hornvieh. «Sir Lancelot, ich kann’s nicht länger ertragen», sagte sie leidenschaftlich. «Zwölf Monate lang habe ich da drin gelegen, brennend vor Begierde. Aber Sie schienen es nicht zu bemerken, Sir Lancelot. Meine Leidenschaft blieb unerwidert. Dann aber trafen Sie mich ins Herz. Sie luden diese Harpyie ein —» Ihre Finger wiesen zur Haustür. «Mein Stolz ließ es nicht zu, unter demselben Dach zu bleiben. Doch jeder Augenblick, den ich in Putney verbrachte, erschien mir länger, erschien mir tragischer als das Exil der Stuarts. Ich kann’s verstehen, wenn ein Mann von Ihrer robusten Natur, Sir Lancelot, vorübergehendes Vergnügen an leichtsinnigen Frauenzimmern findet. Aber was Sie brauchen, ist die Liebe einer braven Frau — »
Halb eingeschlafen in seinem Lehnstuhl, sprang der Dean auf, als seine Türglocke erklang. «Schon gut, schon gut», rief er. «Du brauchst ja nicht gleich Feueralarm zu schlagen. Ich dachte, du liegst im Bett», fuhr er Sir Lancelot böse an. «Ich mußte es annehmen, nach dem Verkehr an deiner Haustür zu schließen.»
«Halt den Mund, und gib mir was zu trinken.» Sir Lancelot packte die Brandyflasche und ein Glas.
«He, laß dir Zeit!» sagte der Dean. «Das Zeug ist dreißig Jahre alt.»
«Das sehe ich. Es ist nicht der Kochbranntwein, den du sonst deinen Gästen gibst.» Sir Lancelot nahm einen großen Schluck.
«Was beabsichtigst du eigentlich mit deinem Hereinplatzen?»
«Ich verbringe die Nacht hier.»
«Das wirst du nicht. Du kannst nicht erwarten, daß ich meine Frau aufwecke und ihr sage, sie soll das Gästezimmer herrichten.»
«Dieses Sofa genügt mir vollkommen.»
«Und was ist mit deinem Haus nicht in Ordnung?»
«Miss MacNish leidet an akuter Nymphomanie.»
«Da ist dir so unter der Hand eine kleine Epidemie ausgebrochen?» fragte der Dean säuerlich. «Wenn das den Studenten zu Ohren kommt, steht uns bei der Revue zum Semesterabschluß einiges bevor.»
«Wir kennen einander schon seit langer Zeit.» Sir Lancelot faßte den Dean eingehend ins Auge. Er sah den spindeldürren, pickeligen Studenten vor sich, der mit der Straßenbahn von Ponder’s End herbeigefahren kam und stets die richtige Diagnose stellte. «Ich kann dir eine eigenartige Erfahrung anvertrauen. Heute abend hab ich mich zwanzig Minuten lang mit der Aussicht konfrontiert gesehen, mit drei Frauen ins Bett zu gehen.»
«Getrennt?» forschte der Dean. «Oder en masse?»
«In zwei Fällen hatte ich keine Ahnung von der Stärke der Leidenschaft, die ich entfacht hatte. Im dritten war das Gegenteil der Fall. Ich hatte Goldstaub in den Augen», sagte er traurig. «Der alte Windbeutel Shaw hatte recht. Die Frau bringt uns alle auf einen gemeinsamen Nenner. Ich vergaß meinen Beruf, meine Position und, was am schlimmsten ist, mein Alter. Nun komm ich mir vor wie ein pensionierter Mädchenhändler. Ich werde meine restlichen Jahre in würdevoller Einsamkeit verbringen, meine restlichen Energien der Arbeit zuwenden und werde mit Miss MacNish ebensowenig das Haus teilen wie mit einer läufigen Tigerin.»
«Genaugenommen, Lancelot, hab ich dich vor wenigen Minuten noch glühend beneidet», gestand der Dean. «Jetzt bin ich meiner Sache nicht mehr so sicher. Es hat nicht viel Sinn, mit brandneuen Schlägern eine Golfrunde anzutreten, wenn man seine Bälle auf unebenem Boden
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