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Doktor auf Abwegen

Doktor auf Abwegen

Titel: Doktor auf Abwegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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einen Haken an der Sache. Als er Amelia das letzte Mal gesehen hatte, trug sie Teenager-Jeans und ein gestreiftes Fußballhemd des Audley College, und sie schlug die Tür seines Rolls vor dem Bunter’s Hotel mit einem ungeheuren Krach zu.
    Es läutete an der Tür.
    Sir Lancelot legte das Nachthemd wieder sorgfältig an Ort und Stelle. Er glättete sein Haar, den Bart und die Enden seines schwarzen Binders. Sein Charme würde sie doch wohl den Zwischenfall mit dem Punt vergessen lassen? Er stieg die Treppe hinab, in Gedanken versponnen, die durchaus nicht chirurgischer Natur waren.
    Es läutete abermals. Er öffnete die Haustür.
    «Lancelot! Ich muß mit Ihnen sprechen, bevor eine weitere Nacht vergeht», sagte die Oberin und segelte in die Diele.
    «Äh...guten Abend», sagte er höflich.
    «Ich weiß, daß ich nicht eine Sekunde schlafen könnte, wenn ich nicht vorher zu Ihnen käme.»
    «Ach, du lieber Himmel.»
    «Und so sagte ich mir - was, ist los?» unterbrach sie sich. «Sie sehen aus, als wäre ich ein bis zu den Zähnen bewaffneter Terrorist.»
    «Es ist nur deshalb, weil ich das Vergnügen Ihrer Gesellschaft so gar nicht erwartet habe», sagte er lahm und schloß die Haustür. «Bin gerade vom Rugby-Club-Dinner mit dem Dean zurückgekommen.»
    «Ja, das weiß ich. Sie sind eigentlich ziemlich früh dran, nicht? Ich komme eben von der jährlichen Wiedersehensfeier mit den Schwestern meines Jahrgangs. Im Speisesaal der Schwestern im St.-Swithin.» Er bemerkte, daß sie ein fließendes orangerotes Tüllabendkleid trug, das zwischen den Brüsten bis zum Gürtel ausgeschnitten war. Frisur und Make-up schienen viel Arbeit erfordert zu haben.
    «Hoffentlich ein vergnüglicher Abend?»
    «Nein, es war natürlich nicht vergnüglich», sagte sie ungeduldig. «Wie könnte ich etwas genießen, wenn ich innerlich koche? Kaum konnte ich den Reden folgen. Ich bin in einem entsetzlichen Aufruhr. Kann ich einen Whisky haben? Seit ich letzte Nacht bei Pip einen gekostet habe, denke ich fortwährend daran, wie beruhigend er ist.»
     

16
     
    Sir Lancelot schloß die Tür des vorderseitigen Wohnzimmers. Die Oberin setzte sich auf das Ledersofa, den Rücken gestrafft, die Hände nervös auf dem Schoß verschränkt. Sir Lancelot holte eine Flasche Malzwhisky aus seinem Barschrank und füllte schweigend zwei Gläser voll.
    Es gelang ihm, sich den neu eingetretenen Umständen mit jener Ruhe anzupassen, mit der er imstande war, in korrekter Reihenfolge ein Dutzend unerwartet stürmisch pulsierender Arterien abzuklammern. Er hatte selbst schon an Banketten des Lord Mayor teilgenommen, erstickend heißen und üppigen Festen, die bis elf Uhr dauerten. Zehn Minuten mußte er der Flut ihrer emotionsgeladenen Ergüsse standhalten. Dann würde er sie eisern vor die Tür setzen. Sonst würde sie am Ende einen Anfall akuter Hysterie erleiden, der Miss MacNish droben im ersten Stock und auch den Dean im nächsten Haus auf die Szene bringen könnte.
    «Köstlich.» Sie trank das Glas in einem Zug aus. «Ich möchte noch eins, bitte. Diese Wiedersehensfeier war furchtbar. Sämtliche Schwestern, die sich als Versager herausstellten, versuchten so zu tun, als wäre alles genauso wie in alten Tagen. Wobei sie jenen, die Erfolg hatten, deutlich zu verstehen gaben, daß sie nicht erfolgreich gewesen seien. Wie war das Dinner?»
    «Voll Flegeleien, aber die muß man hinnehmen, will man sich die Jugend geneigt halten. Sie ist geradezu herzlos wählerisch.» Er reichte ihr den zweiten Drink.
    «Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir.» Sie klopfte auf das harte, glänzende Leder. «Lancelot, Sie sind ein sehr, sehr merkwürdiger Mann.»
    «Ich bilde mir ein, daß ich auf andere einen geradezu monoton normalen Eindruck mache.»
    «Das denken Sie bestimmt nicht. Sie geben sich noch ärgeren Exzentrizitäten hin als Harold Macmillan. Schauen Sie sich zum Beispiel dieses entsetzlich unbequeme Sofa an. Wie so vieles an Ihnen ist es herausfordernd altmodisch.»
    «Ich bin ein Traditionalist», erwiderte er schlicht und wagte einen Blick auf seine Uhr. «Ich erbte es. Von den Kosten abgesehen, ist mein Leben zu ausgefüllt, als daß ich Zeit hätte, Sofas aussuchen zu gehen.»
    Sie ergriff seine Hand und verschränkte ihre Finger mit den seinen. «Nein, rücken Sie nicht weg. Es stimmt, Sie sind ein Traditionalist. Das ist eben der Haken an Ihnen. Die Art, wie Sie Frauen behandeln, würde Jane Austen alle Ehre machen.»
    «Unser Beruf lehrt uns, Gefühle zu

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