Doktor Faustus
Höflichkeit fallen und sagst mir du, wie es sich ziemt zwischen Leuten, die im Vertrage sind und in der Abrede auf Zeit und Ewigkeit.‹
›Ihr sollt schweigen!‹
›Schweigen? Aber wir schweigen ja schon an die fünf Jahre lang und müssen doch irgend einmal mit einand zusprach kommen und rätig werden über das Ganze und über die in {335} teressanten Umstände, in denen du dich befindest. Dies ist natürlich eine Sache zum Schweigen, aber doch nicht zwischen uns auf die Dauer, – wo doch das Stundglas gestellt ist, der rote Sand zu rinnen begonnen hat durch die fein-feine Enge, – oh, eben nur begonnen! Es ist noch fast nichts, was unten liegt, im Vergleich mit der oberen Menge, – wir geben Zeit, reichliche, unabsehbare Zeit, an deren Ende man gar nicht zu denken braucht, noch lange nicht, nicht einmal um den Zeitpunkt, wo man anfangen könnte, ans Ende zu denken, wo es heißen könnte: ‹Respice finem›, braucht man sich vorerst zu kümmern, sintemalen es ein schwankender Zeitpunkt ist, der Willkür und dem Temperament überlassen, und weiß niemand nicht, wo man ihn ansetzen, und wie weit man ihn hinauslegen soll gegen das Ende. Dies ist ein guter Witz und eine treffliche Vorrichtung: Die Unsicherheit und Beliebigkeit des Augenblicks, wo es Zeit wird, ans Ende zu denken, vernebelt scherzhaft den Augenblick auf das gesetzte Ende.‹
›Faseley!‹
›Geh, dir ist es nicht recht zu machen. Sogar gegen meine Psychologie bist du grob, – wo du doch selbst einmal auf dem heimischen Zionsberg die Psychologie einen netten, neutralen Mittelstand und die Psychologen die wahrheitsliebendsten Leute genannt hast. Ich fasele keineswegs und mitnichten, wenn ich von der gegebenen Zeit spreche und von dem gesetzten Ende, sondern rede strikte zur Sache. Überall, wo das Stundglas gestellt und Zeit gegeben ist, unausdenkbare, aber befristete Zeit und ein gesetztes Ende, da sind wir wohl auf dem Plan, da blüht unser Weizen. Zeit verkaufen wir, – sagen wir einmal vierundzwanzig Jahre, – ist das abzusehen? Ist das eine gehörige Masse? Da mag Einer leben auf den alten Kaiser hin wie ein Viehe und die Welt in Erstaunen setzen als ein großer Nigromant durch viel Teufelswerk; da mag Einer je länger je mehr aller Lahmheit vergessen und hoch illuminiert über sich {336} selbst hinaussteigen, ohne sich selber doch fremd zu werden, sondern er ist und bleibt es selbst, nur auf seine natürliche Höhe gebracht durch die halbe Flasche Champagner, und darf in trunkenem Selbstgenuß alle Wonnen beinahe unerträglicher Eingießung kosten, daß er mit mehr oder weniger Recht überzeugt sein mag, so etwas von Eingießung sei seit Jahrtausenden nicht mehr dagewesen, daß er sich schlecht und recht für einen Gott halten mag in gewissen ausgelassenen Augenblicken. Wie kommt so Einer dazu, sich um den Zeitpunkt zu kümmern, wo es Zeit wird ans Ende zu denken! Nur, das Ende ist unser, am Ende ist er unser, das will ausgemacht sein, und nicht bloß schweigend, so verschwiegen es sonst auch zugehen mag, sondern von Mann zu Mann und ausdrücklich.‹
Ich:
›So wollt Ihr mir Zeit verkaufen?‹
Er:
›Zeit? Bloß so Zeit? Nein, mein Guter, das ist keine Teufelsware. Dafür verdienten wir nicht den Preis, daß das Ende uns gehöre. Was für 'ne Sorte Zeit, darauf kommt's an! Große Zeit, tolle Zeit, ganz verteufelte Zeit, in der es hoch und überhoch hergeht, – und auch wieder ein bißchen miserabel natürlich, sogar tief miserabel, das gebe ich nicht nur zu, ich betone es sogar mit Stolz, denn so ist es ja recht und billig, so ist's doch Künstlerart und -Natur. Die, bekanntlich, neigt allezeit zur Ausgelassenheit nach beiden Seiten, ist ganz normalerweise ein bißchen ausschreitend. Da schlägt immer der Pendel weit hin und her zwischen Aufgeräumtheit und Melencholia, das ist gewöhnlich, ist sozusagen noch bürgerlich-mäßiger, nürrembergischer Art im Vergleich mit dem, was wir liefern. Denn wir liefern das Äußerste in dieser Richtung: Aufschwünge liefern wir und Erleuchtungen, Erfahrungen von Enthobenheit und Entfesselung, von Freiheit, Sicherheit, Leichtigkeit, Macht- und Triumphgefühl, daß unser Mann seinen Sinnen nicht traut, – eingerechnet noch obendrein die kolossale Bewunderung für das Gemachte, die ihn sogar auf {337} jede fremde, äußere leicht könnte verzichten lassen, – die Schauer der Selbstverehrung, ja, des köstlichen Grauens vor sich selbst, unter denen er sich wie ein begnadetes
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