Doktor Faustus
Vermählung vollzogen und ahnungslos Fürchterliches auf Fürchterliches gehäuft wird, indem der Sündensohn mit der Mutter das Ehebett besteigt, – ich will das alles nicht ausführen. Nur die affektbeladenen Höhepunkte der Handlung möchte ich erinnern, die in der Puppenoper auf so wunderlich-wunderbare Weise zu ihrem Rechte kommen: So, wenn gleich anfangs der Bruder die Schwester fragt, warum sie so bleich sieht und »ihre Augen ihre Schwärze verloren haben«, und sie ihm antwortet: »Das ist kein Wunder, denn ich bin schwanger und folglich zerknirscht.« Oder wenn sie bei der Nachricht vom Tode des verbrecherisch Erkannten in die merkwürdige Klage ausbricht: »Dahin ist meine Hoffnung, dahin ist meine Kraft, mein einziger Bruder, mein zweites Ich!« und danach den Leichnam von der Sohle seiner Füße bis zu dem Scheitel mit Küssen bedeckt, so daß ihre Ritter, unangenehm berührt von so übertriebenem Kummer, sich veranlaßt sehen, die Gebieterin von dem Toten hinwegzureißen. Oder wenn sie, da sie gewahr wird, mit wem sie in zärtlichster Ehe lebt, zu ihm spricht: »O mein süßer Sohn, du bist mein einziges Kind, du bist mein Mann und mein Herr, du bist mein {464} und meines Bruders Sohn, o mein süßes Kind, und du mein Gott, warum hast du mich lassen geboren werden!« Denn so ist es ja: durch das selbst einst geschriebene Brieftäfelchen, das sie in einem Geheimgemach ihres Gatten findet, erfährt sie, mit wem sie, gottlob ohne ihm auch noch einen Bruder und Enkel ihres Bruders geboren zu haben, das Lager teilt; und nun ist es abermals an diesem, auf Bußfahrt zu sinnen, die er denn auch sogleich auf bloßen Füßen antritt. Er kommt zu einem Fischer, der »an der Feinheit seiner Gliedmaßen« erkennt, daß er es mit keinem gemeinen Reisenden zu tun hat und sich mit ihm dahin verständigt, daß äußerste Einsamkeit das allein Zukömmliche für ihn ist. Er fährt ihn sechzehn Meilen weit in die See hinaus zu einem flutumbrandeten Felsen, und dort, nachdem er sich Fesseln hat an die Füße legen lassen und den Schlüssel zu diesen Fesseln ins Meer geschleudert hat, verbringt Gregor siebzehn Jahre der Buße, an deren Ende eine überwältigende, ihn selbst aber, wie es scheint, kaum überraschende Gnadenerhebung steht. Denn zu Rom stirbt der Papst, und kaum ist er gestorben, so geschieht eine Stimme vom Himmel herab: »Suchet den Mann Gottes Gregorius und setzt ihn zu meinem Stellvertreter ein!« Da eilen Boten in alle Winde und kehren auch bei jenem Fischer ein, der sich erinnert. Da fängt er einen Fisch, in dessen Bauch sich der einst ins Meer versenkte Schlüssel findet. Da fährt er die Sendboten zum Büßerstein, und sie rufen hinauf: »O Gregorius, du Mann Gottes, steige zu uns herab vom Stein, denn es ist Gottes Wille, daß du zu seinem Stellvertreter auf Erden gesetzt werdest!« Und was antwortet er ihnen? »Wenn das Gott gefällt«, spricht er gelassen, »so geschehe sein Wille.« Wie sie aber nach Rom kommen, und die Glocken sollen geläutet werden, warten die darauf nicht, sondern läuten von selber, – alle Glocken läuten aus freien Stücken, zur Ankündigung, daß es einen so frommen und lehrreichen Papst noch nicht gegeben haben werde. Auch {465} zu seiner Mutter dringt der Ruhm des seligen Mannes, und da sie zu Recht mit sich übereinkommt, daß keinem besser ihr Leben anzuvertrauen ist, als diesem Erkorenen, macht sie sich auf nach Rom zur Beichte beim heiligen Vater, der, als er ihre Beichte vernommen, sie wohl erkennt und zu ihr spricht: »O meine süße Mutter, Schwester und Frau. O meine Freundin. Der Teufel dachte uns zur Hölle zu führen, doch Gottes Übermacht hat es verhindert.« Und baut ihr ein Kloster, darin sie als Äbtissin waltet, aber nur kurze Zeit. Denn Beiden wird bald gestattet, ihre Seelen an Gott zurückzugeben.
Auf diese überschwenglich sündhafte, einfältige und gnadenvolle Geschichte also hatte Adrian allen Witz und Schrecken, alle kindliche Eindringlichkeit, Phantastik und Feierlichkeit der musikalischen Ausmalung versammelt, und wohl läßt sich auf dieses Stück, oder namentlich auf dieses, das wunderliche Epitheton des alten Lübecker Professors, das Wort »gottgeistig« anwenden. Die Erinnerung legt sich mir darum nahe, weil die »Gesta« tatsächlich etwas wie eine Regression auf den musikalischen Stil von »Love's Labour Lost« darstellen, da doch die Tonsprache der »Wunder des Alls« schon mehr auf die der »Apokalypse«, selbst schon auf diejenige
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