Doktor Faustus
des »Faustus« hinweist. Solche Vorwegnahmen und Überlagerungen kommen im kreativen Leben ja häufig vor; den künstlerischen Anreiz aber, der von diesen Stoffen auf meinen Freund ausgegangen, kann ich mir wohl erklären: Es war ein geistiger Reiz, nicht ohne einen Einschlag von Bosheit und auflösender Travestie, da er dem kritischen Rückschlage entsprang auf die geschwollene Pathetik einer zu Ende gehenden Kunstepoche. Das musikalische Drama hatte seine Stoffe der romantischen Sage, der Mythenwelt des Mittelalters entnommen und dabei zu verstehen gegeben, daß nur dergleichen Gegenstände der Musik würdig, ihrem Wesen angemessen seien. Dem schien hier Folge geleistet: auf eine recht destruktive Weise jedoch, indem das {466} Skurrile, besonders auch im Erotischen Possenhafte, an die Stelle moralischer Priesterlichkeit trat, aller inflationärer Pomp der Mittel abgeworfen und die Aktion der an sich schon burlesken Gliederpuppen-Bühne übertragen wurde. Deren spezifische Möglichkeiten zu studieren, war Leverkühnen während der Beschäftigung mit den Gesta-Stücken sehr angelegen, und die katholisch-barocke Theaterlust des Volkes, unter dem er einsiedlerisch lebte, bot ihm auch manche Gelegenheit dazu. In Waldshut nahebei war ein Drogist, der Marionetten schnitzte und ankleidete, und Adrian besuchte den Mann wiederholt. Auch fuhr er nach Mittenwald, dem Geigendorf im oberen Isarthal, wo der Apotheker derselben Liebhaberei oblag und mit Hilfe seiner Frau und seiner geschickten Söhne Puppenspiele nach Pocci und Christian Winter im Ort veranstaltete, die ein großes Publikum von Volk und Fremden an sich zogen. Diese sah Leverkühn und studierte auch, wie ich bemerkte, literarisch die sehr kunstreichen Handpuppen- und Schattenfiguren-Spiele der Javanen.
Es waren heiter erregte Abende, wenn er uns, d.h. mir, Schildknapp, auch wohl Rudi Schwerdtfeger, der es sich nicht nehmen ließ, ein und das andere Mal dabei zu sein, im tieffenstrigen Nike-Saal auf dem alten Tafel-Klavier neu Geschriebenes aus seinen wunderlichen Partituren vorspielte, in denen das harmonisch Herrischste, rhythmisch Labyrinthischste auf das Einfältigste – und eine Art von musikalischem Kindertrompetenstil wiederum auf das stofflich Ausgefallenste angewandt war. Das Wiedersehen der Königin mit dem nun heiligen Mann, den sie ihrem Bruder geboren, und den sie als Gattin umfangen, entlockte uns Tränen, wie sie nie unsre Augen genetzt hatten, aus Gelächter und phantastischer Ergriffenheit ganz einmalig gemischt; und Schwerdtfeger, in entfesselter Zutraulichkeit, nahm die Lizenz des Augenblicks wahr, indem er mit einem »Das hast du großartig gemacht!« Adrian umarm {467} te und dessen Kopf an den seinen drückte. Ich sah Rüdigers ohnedies schon bitterlichen Mund sich mißbilligend verziehen, und konnte selbst nicht umhin, ein »Genug!« zu murmeln und die Hand auszustrecken, wie um den Hemmungslosen, Distanzvergessenen zurückzuholen.
Der mochte dann einige Mühe haben, der Unterhaltung zu folgen, die sich in der Abtsstube an die vertrauliche Vorführung schloß. Wir sprachen von der Vereinigung des Avancierten mit dem Volkstümlichen, von der Aufhebung der Kluft zwischen Kunst und Zugänglichkeit, Hoch und Niedrig, wie sie einmal von der Romantik, literarisch und musikalisch, in gewissem Sinne geleistet worden, – worauf dann wieder eine tiefere Trennung und Entfremdung denn je, zwischen dem Guten und dem Leichten, dem Würdigen und dem Unterhaltenden, dem Fortschrittlichen und dem allgemein Genießbaren das Schicksal der Kunst geworden sei. War es Sentimentalität, daß es die Musik – und sie stand für alles – mit wachsender Bewußtheit verlangte, aus ihrer Respektsvereinsamung zu treten, Gemeinschaft zu finden, ohne gemein zu werden, und eine Sprache zu reden, die auch der musikalisch Unbelehrte verstand, wie er Wolfsschlucht, Jungfernkranz, Wagner verstanden hatte? Auf jeden Fall war nicht Sentimentalität das Mittel zu diesem Ziel, sondern weit eher die Ironie, der Spott, der, die Luft reinigend, sich gegen das Romantische, gegen Pathos und Prophetie, Klangrausch und Literatur zu einer Fronde verband mit dem Objektiven und Elementaren, will sagen: mit der Wiederentdeckung der Musik selbst als Organisation der Zeit. Ein heikelstes Beginnen! Denn wie nahe lag nicht falsche Primitivität, also Romantisches wiederum. Auf der Höhe des Geistes zu bleiben; die gesiebtesten Ergebnisse europäischer Musikentwicklung ins
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