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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Geheimnis bleiben wird, vielleicht auch nicht. Sagst du mir's zu?«
    Rudolf antwortete:
    »Ja, ich will gehen und nach bestem Vermögen deine Sache führen.«
    »Den Händedruck dafür«, sagte Adrian, »sollst du beim Abschied haben.«
    Sie waren zurückgelangt, und Schwerdtfegern blieb noch Zeit, im Nike-Saal mit dem Freunde eine kleine Erfrischungsmahlzeit zu halten. Gereon Schweigestill hatte für ihn angespannt, aber trotz Rudolfs Bitte, sich doch nicht zu inkommodieren, nahm Adrian mit ihm in dem hart gefederten Wägelchen Platz, um ihn zur Station zu bringen.
    »Nein, es gehört sich. Es gehört sich diesmal ganz besonders«, erklärte er.
    Der Zug, gemächlich genug, um in Pfeiffering zu halten, fuhr ein, und durch das herabgelassene Fenster tauschten sie den Händedruck.
    »Kein Wort mehr«, sagte Adrian. »Mach's gut. Mach's nett!«
    Er hob den Arm, bevor er sich zum Gehen wandte. Den, der da hinglitt, sah er niemals wieder. Nur einen Brief erhielt er noch von ihm, auf den er jede Antwort verweigerte.

{639} XLII
    Als ich das nächste Mal bei ihm war, zehn oder elf Tage später, hatte er diesen Brief bereits in Händen und tat mir seinen bestimmten Entschluß kund, darauf zu schweigen. Er sah blaß aus und machte den Eindruck eines Menschen, der einen schweren Schlag empfangen, – wirkte so besonders dadurch, daß eine Neigung, die ich freilich schon seit einiger Zeit bei ihm beobachtet, nämlich, beim Gehen Kopf und Oberkörper etwas zur Seite hängen zu lassen, auffallender hervortrat. Doch war er, oder gab sich, vollkommen ruhig, ja kalt, und schien fast das Bedürfnis zu haben, sich wegen dieser achselzuckenden, von oben auf den an ihm begangenen Verrat herabblickenden Gelassenheit bei mir zu entschuldigen.
    »Ich denke«, sagte er, »du hast keine moralischen Entrüstungs- und Wutausbrüche von mir gewärtigt. Ein ungetreuer Freund. Was weiter? Ich bringe nicht viel Empörung auf gegen den Lauf der Welt. Es ist zwar bitter, und man fragt sich, wem man noch trauen soll, wenn unsere rechte Hand sich gegen unsere Brust kehrt. Aber was willst du? So sind Freunde jetzt. Was mir bleibt ist Scham – und die Einsicht, daß ich Prügel verdiene.«
    Ich wollte wissen, wessen er sich zu schämen habe.
    »Eines Benehmens«, antwortete er, »so albern, daß es mich lebhaft an das eines Schuljungen erinnert, der vor lauter Freude über ein gefundenes Vogelnest es einem andren zeigt, – und der geht hin und stiehlt's ihm weg.«
    Was sollte ich wohl sagen, als:
    »Du wirst aus Zutrauen keine Sünde und Schande machen. Die sind doch wohl beim Diebe.«
    Hätte ich seinen Selbstvorwürfen nur mit mehr Überzeugung begegnen können! Indessen mußte ich sie in meinem Herzen bestätigen, denn sein Verhalten, diese ganze Veran {640} staltung mit der Fürsprache, der Werbung, ausgerechnet durch Rudolf, erschien mir gesucht, gekünstelt, sträflich, und ich brauchte mir nur vorzustellen, ich hätte dereinst zu meiner Helene, statt meine eigene Zunge zu brauchen, einen attraktiven Freund geschickt, damit er ihr mein Herz eröffne, – um der ganzen rätselhaften Absurdität seiner Handlungsweise innezuwerden. Aber wozu seine Reue schüren – wenn es Reue war, was aus seinen Worten, seinen Mienen sprach? Er hatte Freund und Geliebte auf einmal verloren, durch eigene Schuld, so mußte man sagen, – wenn man, wenn
ich
nur ganz gewiß gewesen wäre, daß es sich hier um eine Schuld im Sinne unbewußten Mißgriffs, um eine fatale Unbesonnenheit handelte! Wenn nur nicht der Argwohn sich immer wieder in meine Grübeleien gestohlen hätte, daß er, was geschehen würde, mehr oder weniger vorausgesehen hatte, und daß es nach seinem Willen geschehen war! War ihm der Gedanke, das, was von Rudolf »ausging«, die unleugbare erotische Anziehungskraft des Menschen, für sich wirken und werben zu lassen, überhaupt ernstlich zuzutrauen? Durfte man ihm glauben, daß er auf ihn gebaut hatte? Zuweilen stieg mir die Vermutung auf, daß er, der es so hingestellt, als mute er dem andern ein Opfer zu, sich selber das größte Opfer erwählt habe, – daß er absichtlich habe zusammenfügen wollen, was der Liebenswürdigkeit nach zusammengehörte, um selbst verzichtend zurückzutreten in seine Einsamkeit. Aber der Gedanke sah mir ähnlicher, als ihm. Es hätte mir und meiner Verehrung für ihn so passen können, daß dem Schein-Fehler, der sogenannten Dummheit, die er begangen haben wollte, ein Motiv so weicher, so schmerzlich-gütiger

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