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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Versöhnung, Verklärung zu. Aber wie, wenn der künstlerischen Paradoxie, daß aus der totalen Konstruktion sich der Ausdruck – der Ausdruck als Klage – gebiert, das religiöse Paradoxon entspräche, daß aus tiefster Heillosigkeit, wenn auch als leiseste Frage nur, die Hoffnung keimte? Es wäre die Hoffnung jenseits der Hoffnungslosigkeit, die Transzendenz der Verzweiflung, – nicht der Verrat an ihr, sondern das Wunder, das über den Glauben geht. Hört nur den Schluß, hört ihn mit mir: Eine Instrumentengruppe nach der anderen tritt zurück, und was übrig bleibt, womit das Werk verklingt, ist das hohe g eines Cello, das letzte Wort, der letzte verschwebende Laut, in pianissimo-Fermate langsam vergehend. Dann ist nichts mehr, – Schweigen und Nacht. Aber der nachschwingend im Schweigen hängende Ton, der nicht mehr ist, dem nur die Seele noch nachlauscht, und der Ausklang der Trauer war, ist es nicht mehr, wandelt den Sinn, steht als ein Licht in der Nacht.

XLVII
    »Wachet mit mir!« Adrian mochte im Werke wohl das Wort gottmenschlicher Not ins Einsam-Männlichere und Stolze, in das »Schlafet ruhig und laßt euch nichts anfechten!« seines {712} Faustus wenden, – es bleibt das Menschliche doch, das triebhafte Verlangen, wenn nicht nach Beistand, so doch nach mitmenschlichem Beisein, die Bitte: »Verlaßt mich nicht! Seid um mich zu meiner Stunde!«
    Darum, als das Jahr 1930 fast auf seine Hälfte gekommen war, im Monat Mai, lädt Leverkühn auf verschiedenen Wegen eine Gesellschaft zu sich nach Pfeiffering, all seine Freunde und Bekannten, auch sogar solche, mit denen er wenig oder gar nicht bekannt, eine Menge Leute, an die dreißig: teils durch geschriebene Karten, teils durch mich, wobei wieder einzelne Geladene ersucht wurden, die Aufforderung an andere weiterzugeben, wieder andere aber aus sachlicher Neugier sich selbst einluden, d.h. durch mich oder sonst ein Mitglied des engeren Kreises um Zulassung baten. Denn es hatte ja Adrian auf seinen Karten wissen lassen, er wünsche, einer günstigen Freundesversammlung von seinem neuen, eben vollendeten chorisch-symphonischen Werk ein Bild zu geben durch den Klaviervortrag einiger charakteristischer Partien daraus; und dafür interessierten sich auch manche Personen, die er nicht zu laden beabsichtigt hatte, wie z.B. die Heroine Tanja Orlanda und der Tenor Herr Kjöjelund, die sich durch Schlaginhaufens einführen ließen, und etwa der Verleger Radbruch nebst seiner Frau, die sich hinter Schildknapp gesteckt hatten. Handschriftlich eingeladen hatte er übrigens auch Baptist Spengler, obgleich dieser, wie Adrian eigentlich hätte wissen müssen, schon seit anderthalb Monaten nicht mehr unter den Lebenden weilte. Der geistreiche Mann war, erst Mitte der Vierziger, bedauerlicherweise seinem Herzleiden erlegen.
    Mir, ich bekenne es, war bei der ganzen Veranstaltung nicht wohl zu Mute. Warum, ist schwer zu sagen. Dieses Heranziehen einer großen Anzahl ihm größtenteils innerlich wie äußerlich sehr fern stehender Menschen an den Ort seiner Zurückgezogenheit, zu dem Behuf, sie in sein einsamstes Werk {713} einzuweihen, paßte im Grunde zu Adrian nicht; es mißbehagte mir nicht so wohl an und für sich, als weil es mir als eine ihm fremde Handlungsweise erschien, – und an und für sich widerstand es mir auch. Aus welchem Grunde nun immer – und ich meine wohl, ich habe ihn angedeutet, den Grund, – es war mir im Herzen lieber, ihn allein zu wissen in seinem Refugium, gesehen nur von seinen menschlich Gesinnten, ihm respektvoll anhänglichen Wirtsleuten und von uns wenigen, Schildknapp, der lieben Jeanette, den verehrenden Frauen Rosenstiel und Nackedey und mir selbst – als daß nun die Augen einer gemischten, an ihn nicht gewöhnten Menge auf den seinerseits Weltentwöhnten gerichtet sein sollten. Aber was blieb mir denn übrig, als mit Hand anzulegen an das Unternehmen, das er selbst schon weitgehend eingeleitet hatte, seiner Weisung zu folgen und meine Telephonate zu tätigen? Es gab keine Absagen, im Gegenteil, wie ich sagte: nur zusätzliche Gesuche um Beteiligungserlaubnis kamen vor.
    Nicht nur, daß ich die Veranstaltung nicht gerne sah: ich will in meinem Geständnis weitergehen und niederlegen, daß ich sogar versucht war, mich persönlich davon fernzuhalten. Dem stand jedoch ein sorgenvolles Pflichtgefühl entgegen, des Sinnes, ich müsse, gern oder nicht, unbedingt dabeisein und alles überwachen. Und so begab ich mich denn an

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