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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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wie ein »So ist es« aussprechen, zuweilen aber, wie die schauerliche Ballettmusik der Höllenfahrt, auch für Teile der Handlung stehen. Die Instrumentation dieses Schreckenstanzes besteht nur aus Bläsern und einem beharrenden Begleitsystem, das, zusammengesetzt aus zwei Harfen, Cembalo, Klavier, Celesta, Glockenspiel und Schlagzeug, als eine Art von »Continuo« immer wieder auftretend das Werk durchzieht. Einzelne Chorstücke sind nur davon begleitet. Bei anderen sind ihm Bläser, bei wieder anderen Streicher hinzugefügt; abermals andere haben volle Orchester-Begleitung. Rein orchestral ist der Schluß: ein symphonischer Adagiosatz, in welchen der nach dem Höllengalopp mächtig einsetzende Klage-Chor allmählich übergeht, – es ist gleichsam der umgekehrte Weg des »Liedes an die Freude«, das kongeniale Negativ jenes Überganges der Symphonie in den Vokal-Jubel, es ist die Zurücknahme …
    Mein armer, großer Freund! Wie oft habe ich, in dem Werk seines Nachlasses, seines Unterganges lesend, das soviel Untergang seherisch vorwegnimmt, der schmerzhaften Worte gedacht, die er beim Tode des Kindes zu mir sprach: des Wortes, es solle nicht sein, das Gute, die Freude, die Hoffnung, das solle nicht sein, es werde zurückgenommen, man müsse es zurücknehmen! Wie steht dieses »Ach, es soll nicht sein«, fast einer musikalischen Weisung und Vorschrift gleich, über den Chor- und Instrumentalsätzen von »D. Fausti Weheklag«, wie ist es in jedem Takt und Tonfall dieses »Liedes an die Trauer« beschlossen! Kein Zweifel, mit dem Blick auf Beethovens »Neunte«, als ihr Gegenstück in des Wortes schwermütigster Bedeutung ist es geschrieben. Aber nicht nur, daß es diese mehr als einmal formal zum Negativen wendet, ins Negative zurück {710} nimmt: es ist darin auch eine Negativität des Religiösen, – womit ich nicht meinen kann: dessen Verneinung. Ein Werk, welches vom Versucher, vom Abfall, von der Verdammnis handelt, was sollte es anderes sein, als ein religiöses Werk! Was ich meine, ist eine Umkehrung, eine herbe und stolze Sinnverkehrung, wie wenigstens ich sie zum Beispiel in der »freundlichen Bitt« des D. Faustus an die Gesellen der letzten Stunde finde, sie möchten sich zu Bette begeben,
mit Ruhe schlafen
und sich nichts anfechten lassen. Schwerlich wird man umhinkönnen, im Rahmen der Kantate, diese Weisung als den bewußten und gewollten Revers zu dem »Wachet mit mir!« von Gethsemane zu erkennen. Und wiederum: Der »Johannstrunk« des Scheidenden mit den Freunden hat durchaus rituelles Gepräge, als ein anderes Abendmahl ist er gegeben. Damit aber verbindet sich eine Umkehrung der Versuchungsidee, dergestalt, daß Faust den Gedanken der Rettung als Versuchung zurückweist, – nicht nur aus formeller Treue zum Pakt, und weil es »zu spät« ist, sondern weil er die Positivität der Welt, zu der man ihn retten möchte, die Lüge ihrer Gottseligkeit, von ganzer Seele verachtet. Dies wird noch viel deutlicher und ist viel stärker noch herausgearbeitet in der Szene mit dem guten alten Arzt und Nachbawr, der Fausten zu sich lädt, um einen fromm bemühten Bekehrungsversuch an ihm zu machen, und der in der Kantate mit klarer Absicht als eine Verführerfigur gezeichnet ist. Unverkennbar ist die Versuchung Jesu durch Satan erinnert, unverkennbar das Apage zum stolz verzweifelten Nein! gegen falsche und matte Gottesbürgerlichkeit gewendet.
    Aber einer anderen und letzten, wahrhaft letzten Sinnesverkehrung will gedacht, und recht von Herzen gedacht sein, die am Schluß dieses Werkes unendlicher Klage leise, der Vernunft überlegen und mit der sprechenden Unausgesprochenheit, welche nur der Musik gegeben ist, das Gefühl berührt. Ich meine den orchestralen Schlußsatz der Kantate, in den der Chor {711} sich verliert, und der wie die Klage Gottes über das Verlorengehen seiner Welt, wie ein kummervolles »Ich habe es nicht gewollt« des Schöpfers lautet. Hier, finde ich, gegen das Ende, sind die äußersten Akzente der Trauer erreicht, ist die letzte Verzweiflung Ausdruck geworden, und – ich will's nicht sagen, es hieße die Zugeständnislosigkeit des Werkes, seinen unheilbaren Schmerz verletzen, wenn man sagen wollte, es biete bis zu seiner letzten Note irgend einen anderen Trost, als den, der im Ausdruck selbst und im Lautwerden, – also darin liegt, daß der Kreatur für ihr Weh überhaupt eine Stimme gegeben ist. Nein, dies dunkle Tongedicht läßt bis zuletzt keine Vertröstung,

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