Doktor Faustus
ich fühlte mich dort ein wenig wie einer meiner wissenschaftlichen Ahnen, Crotus Rubianus, der um 1530 zu Halle Canonicus war, und den Luther nicht anders als »den {131} Epikuräer Crotus« oder auch »Dr. Kröte, des Cardinals zu Mainz Tellerlecker« nannte. Er sagte ja auch: »Des Teufels Saw, der Bapst« und war allerwegen ein unleidlicher Grobian, wiewohl ein großer Mann. Stets habe ich mit der Beklemmung sympathisiert, die die Reformation Geistern wie Crotus schuf, weil sie einen Einbruch subjektiver Willkür in die objektiven Satzungen und Ordnungen der Kirche in ihr sahen. Dabei war er von der gebildetsten Friedensliebe, zu vernünftigen Zugeständnissen gern geneigt, der Freigabe des Kelches nicht entgegen, – und wurde dann freilich gerade wieder dadurch in die peinlichste Verlegenheit gesetzt, nämlich durch die greuliche Härte, mit welcher sein Herr, der Erzbischof Albrecht, den zu Halle vorgekommenen Genuß des Abendmahls in beiderlei Gestalt bestrafte.
So geht es der Toleranz, der Kultur- und Friedensliebe zwischen den Feuern des Fanatismus. Es war Halle, das den ersten lutherischen Superintendenten hatte: Justus Jonas, der 1541 dorthin kam und einer von denen war, die zu des Erasmus Kummer aus dem humanistischen Lager ins reformatorische übergegangen waren, wie auch Melanchthon und Hutten. Noch ärger aber war dem Weisen von Rotterdam der Haß, den Luther und die Seinen den klassischen Studien zuzogen, von denen Luther persönlich wenig genug besaß, die man jedoch als die Quelle des geistlichen Aufruhrs betrachtete. Was aber damals im Schoße der Weltkirche sich ereignete, der Aufstand subjektiver Willkür nämlich gegen die objektive Bindung, das sollte sich hundert und einige Jahre später innerhalb des Protestantismus selbst wiederholen: als Revolution der frommen Gefühle und der inneren himmlischen Freude gegen eine versteinte Orthodoxie, von welcher freilich kein Bettelmann mehr ein Stück Brot hatte nehmen wollen; als Pietismus also, der bei Gründung der Universität Halle die ganze theologische Fakultät besetzte. Auch er, dessen Hochburg die Stadt dann lange {132} blieb, war, wie einst das Luthertum, eine Erneuerung der Kirche, eine reformatorische Wiederbelebung der schon absterbenden, schon allgemeiner Gleichgültigkeit verfallenen Religion. Und meinesgleichen mag sich wohl fragen, ob diese immer wiederkehrenden Lebensrettungen eines schon zu Grabe sich Neigenden unter dem kulturellen Gesichtspunkt eigentlich zu begrüßen, ob nicht die Reformatoren eher als rückfällige Typen und Sendlinge des Unglücks zu betrachten sind. Es ist ja wohl kein Zweifel, daß der Menschheit unendliches Blutvergießen und die entsetzlichste Selbstzerfleischung erspart geblieben wäre, wenn Martin Luther die Kirche nicht wiederhergestellt hätte.
Ungern würde ich es sehen, wenn man mich nach dem Gesagten für einen durchaus irreligiösen Menschen hielte. Das bin ich nicht, halte es vielmehr mit Schleiermacher, auch einem Hallenser Gotteskundigen, der die Religion als »den Sinn und Geschmack für das Unendliche« definierte und sie einen im Menschen vorhandenen »Tatbestand« nannte. Nicht mit philosophischen Sätzen also habe die Wissenschaft von der Religion es zu tun, sondern mit einem innerlich gegebenen, seelischen Faktum. Das erinnert an den ontologischen Gottesbeweis, der mir immer von allen der liebste war, und der von der subjektiven Idee eines höchsten Wesens auf dessen objektives Dasein schließt. Daß er vor der Vernunft so wenig wie die anderen standhält, hat mit den energischsten Worten Kant bewiesen. Wissenschaft aber kann der Vernunft nicht entraten, und aus dem Sinn für das Unendliche und die ewigen Rätsel eine Wissenschaft machen zu wollen, heißt zwei einander grundfremde Sphären auf eine in meinen Augen unglückliche und fortwährend in Verlegenheit stürzende Weise zusammenzuzwingen. Religiosität, die ich als keineswegs meinem Herzen fremd betrachte, ist sicherlich etwas anderes, als positive und konfessionell gebundene Religion. Wäre es nicht besser ge {133} wesen, die »Tatsache« des menschlichen Sinnes für das Unendliche dem frommen Gefühl, den schönen Künsten, der freien Kontemplation, ja, auch der exakten Forschung zu überlassen, welche als Kosmologie, Astronomie, theoretische Physik diesem Sinn mit durchaus religiöser Hingabe an das Geheimnis der Schöpfung zu dienen vermag, – anstatt ihn als Geisteswissenschaft auszusondern und Dogmengebäude daraus zu
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