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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Ausgelassenheit recht hätte folgen können. Auch machte wohl einfach eine gewisse Trockenheit und Steifigkeit meiner Natur mich ungeschickt dazu.
    Später fand er in dem Anglisten und Schriftsteller Rüdiger Schildknapp, dessen Bekanntschaft er in Leipzig machte, einen weit besseren Partner für diese Laune, weshalb ich auf den Mann auch immer ein wenig eifersüchtig gewesen bin.

XI
    Zu Halle an der Saale finden sich theologische und philologisch-pädagogische Überlieferungen vielfach verschränkt, vor allem in der historischen Figur August Hermann Franckes, des Schutzheiligen der Stadt, sozusagen, – jenes pietistischen Erziehers, der dort Ende des 17. Jahrhunderts, also kurz nach {129} Gründung der Universität, die berühmten »Franck'schen Stiftungen«, nämlich Schulen und Waisenhäuser schuf und in seiner Person und Wirksamkeit das gottselige Interesse mit dem humanistisch-sprachwissenschaftlichen verband. Stellt nicht auch die Castein'sche Bibelanstalt, diese erste Autorität für die Revision von Luthers Sprachwerk, die Verbindung von Religion und Textkritik her? Außerdem wirkte in Halle zu jener Zeit ein hervorragender Latinist, Heinrich Osiander, zu dessen Füßen zu sitzen mich sehr verlangte, und zum Überfluß schloß, wie ich von Adrian hörte, das kirchengeschichtliche Kolleg des Professors D. Dr. Hans Kegel eine ungewöhnliche Menge profan-historischen Stoffes ein, was ich mir, da ich Geschichte als erstes Nebenfach ansah, zu Nutze zu machen wünschte.
    Es hatte also seine gute geistige Rechtfertigung, daß ich, nach einem je zweisemestrigen Studium in Jena und Gießen, die Brust der Alma Mater Hallensis anzunehmen beschloß, die übrigens für die Einbildungskraft den Vorzug der Identität mit der Universität Wittenberg besitzt; denn mit dieser wurde sie bei ihrer Wiedereröffnung nach den napoleonischen Kriegen zusammengelegt. Leverkühn war dort schon seit einem halben Jahr immatrikuliert, als ich zu ihm stieß, und ich leugne natürlich nicht, daß der persönliche Grund seiner Anwesenheit stark, ja entscheidend mitgespielt hatte bei meinem Entschluß. Kurz nach seinem Eintreffen hatte er, offenbar aus einem gewissen Einsamkeits- und Verlassenheitsgefühl, mich sogar aufgefordert, zu ihm nach Halle zu kommen, und wenn auch noch einige Monate vergehen mußten, ehe ich seinem Rufe folgte, so war ich doch gleich bereit dazu gewesen, ja vielleicht hätte es seiner Einladung garnicht bedurft. Mein eigener Wunsch, ihm nahe zu sein, zu sehen, wie er es trieb, welche Fortschritte er machte und wie seine Gaben sich in der Luft akademischer Freiheit entfalteten; dieser Wunsch, in täglichem Austausch {130} mit ihm zu leben, ihn zu überwachen, von nahebei ein Auge auf ihn zu haben, – hätte wahrscheinlich von sich aus genügt, mich zu ihm zu führen. Und dazu kamen, wie gesagt, jene sachlich-studienmäßigen Gründe.
    Selbstverständlich kann ich die beiden Jugendjahre, die ich zu Halle mit dem Freunde verlebte, und deren Gang durch Ferien-Aufenthalte in Kaisersaschern und auf seinem väterlichen Hof unterbrochen war, in diesen Blättern nur als ebenso vermindertes Abbild sich spiegeln lassen wie seine Schülerzeit. Waren es glückliche Jahre? Ja, als Kernstück einer frei strebenden, mit frischen Sinnen Umschau haltenden und in die Scheuern sammelnden Lebensepoche – und sofern ich sie an der Seite eines Kindheitsgenossen verbrachte, an dem ich hing, ja dessen Sein, dessen Werden, dessen Lebensfrage mich im Grunde mehr interessierte, als meine eigene. Diese war einfach; ich brauchte ihr nicht viele Gedanken zu widmen, sondern nur durch treue Arbeit die Voraussetzungen für ihre vorgegebene Lösung zu schaffen. Die seine war höher und in gewissem Sinne rätselhafter, ein Problem, dem nachzuhängen die Sorge um mein eigenes Fortkommen mir immer viel Zeit und seelische Kräfte übrig ließ; und wenn ich zögere, jenen Jahren das übrigens immer fragwürdige Beiwort »glücklich« zuzugestehen, so darum, weil ich durch das Zusammenleben mit ihm weit stärker in seine Studien-Sphäre hineingezogen wurde, als er in die meine, und weil die theologische Luft mir nicht gemäß, nicht geheuer war, weil in ihr zu atmen mich bedrückte und mir innere Verlegenheit bereitete. Ich fühlte mich zu Halle, dessen geistiger Raum seit Jahrhunderten voll war von religiösen Kontroversen, das heißt: von jenem geistlichen Zank und Streit, der immer dem humanistischen Bildungstriebe so abträglich gewesen ist, –

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