Doktor Faustus
entwickeln, deren Bekenner sich um einer Kopula willen aufs Blut befehden? Der Pietismus, seiner schwärmerischen Natur gemäß, wollte freilich eine scharfe Trennung von Frömmigkeit und Wissenschaft herstellen und behaupten, daß keine Bewegung, keine Veränderung im wissenschaftlichen Raum irgendwelchen Einfluß auf den Glauben ausüben könne. Aber das war eine Täuschung, denn allezeit hat die Theologie freiwillig-unfreiwillig von den wissenschaftlichen Strömungen der Epoche sich bestimmen lassen, hat immer ein Kind ihrer Zeit sein wollen, obgleich die Zeiten ihr das in wachsendem Maß erschwerten und sie in den anachronistischen Winkel drängten. Gibt es eine Disziplin, bei deren bloßem Namen wir uns dergestalt in die Vergangenheit, ins sechzehnte, ins zwölfte Jahrhundert zurückversetzt fühlen? Da hilft keine Anpassung, kein Zugeständnis an die wissenschaftliche Kritik. Was diese erzeugen, ist eine hybride Halb- und Halbheit von Wissenschaft und Offenbarungsglauben, die auf dem Wege zur Selbstaufgabe liegt. Die Orthodoxie selbst beging den Fehler, die Vernunft in den religiösen Bezirk einzulassen, indem sie die Glaubenssätze vernunftgemäß zu beweisen suchte. Unter dem Druck der Aufklärung hatte die Theologie fast nichts zu tun, als sich gegen die unleidlichen Widersprüche, die man ihr nachwies, zu verteidigen, und, um ihnen nur zu entgehen, nahm sie vom offenbarungsfeindlichen Geist soviel in sich auf, daß es auf die Preisgabe des Glaubens hinauslief. Es war die Zeit der »vernünftigen Gottesverehrung« und eines Theologengeschlechts, {134} in dessen Namen Wolff zu Halle erklärte: »Alles muß geprüft werden an der Vernunft wie am Stein der Weisen«; eines Geschlechts, das von der Bibel alles, was nicht der »moralischen Ausbesserung« diente, für veraltet erklärte und zu verstehen gab, daß es in der Geschichte der Kirche und ihrer Lehre nur eine Komödie der Irrungen sähe. Da dies ein wenig weit ging, stellte eine Vermittlungstheologie sich ein, die zwischen Orthodoxie und einem durch Vernünftigkeit immer zur Verwilderung neigenden Liberalismus eine eher konservative Mitte einzuhalten suchte. Allein die Begriffe der »Rettung« und der »Preisgabe« haben seitdem das Leben der »Wissenschaft von der Religion« bestimmt, – Begriffe, die beide etwas Fristendes haben; die Theologie hat damit ihr Leben gefristet. Sie hat, in ihrer konservativen Form, an der Offenbarung und der traditionellen Exegese festhaltend, von den Elementen der biblischen Religion zu »retten« gesucht, was irgend davon zu retten war, und sie hat andererseits die historisch-kritische Methode der profanen Geschichtswissenschaft liberal akzeptiert und ihre wichtigsten Inhalte, den Wunderglauben, erhebliche Teile der Christologie, die leibliche Auferstehung Jesu, und was nicht noch, der wissenschaftlichen Kritik »preisgegeben«. Was für eine Wissenschaft ist aber das, die zur Vernunft in einem so prekären, nötigungsvollen Verhältnis steht und an den Kompromissen, die sie mit ihr schließt, immer zugrunde zu gehen droht? Nach meinem Dafürhalten ist »liberale Theologie« ein hölzernes Eisen, eine contradictio in adiecto. Kulturbejahend und willig zur Anpassung an die Ideale der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie ist, setzt sie das Religiöse zur Funktion der menschlichen Humanität herab und verwässert das Ekstatische und Paradoxe, das dem religiösen Genius wesentlich ist, zu einer ethischen Fortschrittlichkeit. Das Religiöse geht im bloß Ethischen nicht auf, und so kommt es, daß der wissenschaftliche und der eigentlich theologische Gedanke sich wieder {135} scheiden. Die wissenschaftliche Überlegenheit der liberalen Theologie, heißt es nun, sei zwar unbestreitbar, aber ihre theologische Position sei schwach, denn ihrem Moralismus und Humanismus mangle die Einsicht in den dämonischen Charakter der menschlichen Existenz. Sie sei zwar gebildet, aber seicht, und von dem wahren Verständnis der menschlichen Natur und der Tragik des Lebens habe die konservative Tradition sich im Grunde weit mehr bewahrt, habe darum aber auch zur Kultur ein tieferes, bedeutenderes Verhältnis als die fortschrittlich-bürgerliche Ideologie.
Hier beobachtet man deutlich die Infiltration des theologischen Denkens durch irrationale Strömungen der Philosophie, in deren Bereich ja längst das Untheoretische, das Vitale, der Wille oder Trieb, kurz ebenfalls das Dämonische zum Hauptthema der Theorie geworden war. Man beobachtet
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