Doktor Faustus
verwandte Sphären, und persönlich ist mir obendrein die Musik immer als eine magische Verbindung aus Theologie und der so unterhaltenden Mathematik erschienen. Item, sie hat viel von dem Laborieren und insistenten Betreiben der Alchimisten und Schwarzkünstler von ehemals, das auch im Zeichen der Theologie stand, zugleich aber in dem der Emanzipation und Abtrünnigkeit, – sie
war
Abtrünnigkeit, nicht vom Glauben, das war gar nicht möglich, sondern im Glauben; Abtrünnigkeit ist ein Akt des Glaubens, und alles ist und geschieht in Gott, besonders auch der Abfall von ihm.«
Meine Anführungen sind nahezu wörtlich, wo sie es nicht ganz sind. Ich kann mich auf mein Gedächtnis recht wohl verlassen und habe außerdem mehreres gleich nach der Lesung des Konzeptes für mich zu Papier gebracht, in Sonderheit die Stelle von der Abtrünnigkeit.
Er entschuldigte sich danach wegen der Abschweifung, die kaum eine war, und ging zu den praktischen Fragen über, welche Art von musikalischer Betätigung er denn ins Auge fassen solle, wenn er dem Drängen Kretzschmars folge. Er hielt ihm vor, daß er ja fürs solistische Virtuosentum von vornherein und anerkanntermaßen verloren sei; denn: »Was zur Nessel werden soll, brennt bei Zeiten«, schrieb er, und viel zu spät sei er mit dem Instrument in Berührung – überhaupt auf den Gedanken gekommen, es zu berühren, woraus ja der mangelnde Instinkt-Antrieb in diese Richtung klar hervorgehe. Er sei an die Tastatur geraten, nicht aus Lust, sich zu ihrem Meister aufzuwerfen, sondern aus heimlicher Neugier auf die Musik selbst, und ganz und gar fehle ihm das Zigeunerblut des konzertierenden Künstlers, der durch die Musik und anläßlich ihrer sich vor dem Publikum produziere. Dazu gehörten see {194} lische Voraussetzungen, sagte er, die bei ihm nicht erfüllt seien: das Verlangen nach Liebesaustausch mit der Menge, nach Kränzen, nach Katzbuckelei und Kußhänden im Beifallsgeprassel. – Er vermied die Ausdrücke, die eigentlich die Sache bei Namen genannt hätten, nämlich daß er, selbst wenn er nicht zu spät daran gewesen wäre, zu schamhaft, zu stolz, zu spröde, zu einsam fürs Virtuosentum sei.
Dieselben Gegengründe, fuhr er fort, ständen einer Laufbahn als Dirigent im Wege. So wenig wie zum Instrumental-Gaukler fühle er sich zur stabführenden Frack-Primadonna vor dem Orchester, zum interpretierenden Botschafter und Gala-Repräsentanten der Musik auf Erden berufen. Hier entschlüpfte ihm doch ein Wort, das in den Bereich derer gehörte, die ich soeben als eigentlich sachdienlich einsetzte: er sprach von Weltscheu. »Weltscheu« nannte er sich und wollte damit nichts zu seinem Lobe gesagt haben. Diese Eigenschaft, urteilte er, sei der Ausdruck des Mangels an Wärme, an Sympathie, an Liebe, – und es frage sich allzu sehr, ob man mit ihr überhaupt zum Künstler, das heiße denn doch wohl immer: zum Liebhaber und zum Geliebten der Welt tauge. – Falle dies beides denn aber weg, das Solisten-, das Dirigentenziel, – was bleibe? Nun, allerdings, die Musik als solche, die Versprechung und Verlobung mit ihr, das hermetische Laboratorium, die Goldküche, die Komposition. Wundervoll! »Ihr werdet mich, Freund Albertus Magnus, in die theoretische Geheimlehre einführen, und gewiß, ich fühle es, ich weiß es im voraus, wie ich es ein wenig schon aus Erfahrung weiß, ich werde keinen ganz blöden Adepten abgeben. Alle Tricks und Zwänge werde ich auffassen, und zwar leicht, weil mein Geist ihnen entgegenkommt, der Boden für sie bereitet ist, manche Saat schon in sich hegt. Ich werde die prima materia veredeln, indem ich ihr das magisterium beisetze und mit Geist und Feuer den Stoff durch viele Engen und Retorten zur Läuterung treibe. Herrliches Geschäft! {195} Ich kenne kein spannenderes, heimlicheres, höheres, tieferes, besseres, keines, für das mich zu gewinnen es geringerer Überredung bedürfte.
Und dennoch, warum warnt eine inwendige Stimme mich: ›O homo fuge‹? Ich kann die Frage nicht vollständig artikuliert beantworten. Nur soviel kann ich sagen: Ich fürchte mich davor, der Kunst Promission zu machen, weil ich zweifle, ob meine Natur – ganz abseits von der Begabungsfrage – geschaffen ist, ihr Genüge zu tun, weil ich mir die robuste Naivität absprechen muß, die, soviel ich sehe, unter anderem, und nicht zuletzt, zum Künstlertum gehört. Statt ihrer ist eine rasch gesättigte Intelligenz mein Teil, von der ich wohl sprechen darf, da ich
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