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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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    »Macquart! Macquart!«
    Kein Hauch, kein Laut. Die lastende Stille senkte sich wieder herab, nur die Bienen summten lauter um die großen Malven.
    Félicité schämte sich schließlich ihrer Angst und ging beherzt ins Haus. Links in der Diele war die Tür zur Küche, in der der Onkel sich für gewöhnlich aufhielt, geschlossen. Sie stieß sie auf, konnte aber zunächst nichts erkennen, denn er hatte wohl die Fensterläden zugemacht, um sich vor der Hitze zu schützen. Zuerst hatte sie nur das Gefühl, als schnürte ihr der fürchterliche Alkoholdunst, der den Raum erfüllte, die Kehle zu: es schien, als schwitzte jedes Möbelstück diesen Dunst aus, das ganze Haus war davon durchtränkt. Als dann ihre Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, erblickte sie schließlich den Onkel. Er saß am Tisch, auf dem ein Glas und eine gänzlich leere Flasche Branntwein standen. Er schlief tief, stockbetrunken, auf seinem Stuhl zusammengesackt. Dieser Anblick erregte ihren Zorn und ihre Verachtung aufs neue.
    »Hört mal, Macquart, das ist denn doch zu unvernünftig und widerlich, sich in einen solchen Zustand zu bringen! So wacht doch auf, das ist ja eine Schande!«
    Er schlief so fest, daß man nicht einmal seinen Atem vernahm. Vergeblich hob sie die Stimme und klatschte heftig in die Hände.
    »Macquart! Macquart! Macquart! Nein, so was! Ihr seid ekelerregend, mein Lieber!«
    Und sie ließ von ihm ab, sie tat sich keinen Zwang mehr an, ging ungeniert durch den Raum und schob die Gegenstände hin und her. Auf ihrem Weg von der Anstalt über die staubige Landstraße hatte sie brennenden Durst bekommen. Ihre Handschuhe störten sie, sie zog sie aus und legte sie auf eine Ecke des Tisches. Dann fand sie zu ihrem Glück den Krug; sie wusch ein Glas ab, goß es bis zum Rand voll und wollte es gerade austrinken, als ein außergewöhnliches Schauspiel sie so sehr erregte, daß sie das Glas neben ihre Handschuhe stellte, ohne zu trinken.
    In dem Raum, den feine Sonnenstrahlen erhellten, die durch die Ritzen der aus den Fugen gegangenen alten Fensterläden drangen, konnte sie jetzt allmählich alles besser erkennen. Ganz deutlich sah sie den Onkel, wie immer sauber in blaues Tuch gekleidet und die ewige Pelzmütze auf dem Kopf, die er jahraus, jahrein zu tragen pflegte. Er war seit fünf oder sechs Jahren fett geworden und bildete eine wahre Fettmasse, die von Speckfalten überquoll. Félicité stellte fest, daß er beim Rauchen eingeschlafen sein mußte, denn seine Pfeife, eine kurze schwarze Pfeife, war ihm auf die Knie gerutscht. Dann blieb sie reglos vor Betroffenheit stehen: der glimmende Tabak war herausgefallen, das Tuch der Hose hatte Feuer gefangen, und durch das Loch im Stoff, das schon so groß wie ein Hundertsousstück war, sah man den nackten Schenkel, einen roten Schenkel, aus dem eine kleine blaue Flamme emporzüngelte.
    Zuerst glaubte Félicité, es sei die Wäsche, die da brannte, die Unterhose oder das Hemd. Doch es war kein Zweifel möglich, sie sah ganz deutlich das bloße Fleisch, und die kleine blaue Flamme züngelte daraus hervor, leicht und hüpfend gleich einer unsteten Flamme auf einem mit Alkohol gefüllten Gefäß. Sie war noch nicht sehr viel höher als die Flamme eines Nachtlichts und brannte lautlos und sanft vor sich hin, so unbeständig, daß der geringste Lufthauch sie hin und her hüpfen ließ. Aber sie wurde größer, breitete sich rasch aus, und die Haut platzte auf, und das Fett begann zu schmelzen.
    Unwillkürlich entrang sich Félicités Kehle ein Schrei.
    »Macquart! Macquart!«
    Er rührte sich noch immer nicht. Er mußte vollkommen ohne Gefühl sein, die Trunkenheit hatte ihn in eine Art Bewußtlosigkeit fallen lassen, in eine vollständige Lähmung der Empfindung, denn er lebte, man sah, wie seine Brust sich in langsamen und gleichmäßigen Atemzügen hob.
    »Macquart! Macquart!«
    Jetzt sickerte das Fett durch die Risse in der Haut und belebte die Flamme, die sich nun bis zum Bauch ausdehnte. Und Félicité begriff, daß der Onkel da in Flammen aufging wie ein mit Branntwein vollgesogener Schwamm. Er selber war seit Jahren davon durchtränkt, und zwar von hochprozentigem Branntwein, der sich am leichtesten entzündet. Er würde zweifellos sehr bald vom Kopf bis zu den Füßen in Flammen stehen.
    Jetzt wollte sie ihn nicht mehr wecken, da er ja so schön schlief. Eine Minute lang wagte sie noch, ihn zu betrachten, verstört, doch in ihrem Entschluß allmählich bestärkt. Ihre

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