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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wunderte sich, daß er oben niemand vorfand. Die Fensterläden waren geschlossen, die Tür zur Diele war weit geöffnet. Nur der gelbe Hund stand mit gesträubtem Fell steifbeinig auf der Schwelle und winselte ununterbrochen leise vor sich hin. Als er den Besucher kommen sah, den er ohne Zweifel erkannte, war er einen Augenblick still, entfernte sich dann ein Stück und begann wieder leise zu winseln.
    Von Furcht ergriffen, vermochte Pascal den ängstlichen Ruf, der ihm auf die Lippen kam, nicht zu unterdrücken.
    »Macquart! Macquart!«
    Niemand antwortete, das Haus blieb totenstill, die weit offenstehende Tür gähnte dem Doktor wie ein schwarzes Loch entgegen. Der Hund heulte noch immer.
    Pascal wurde jetzt ungeduldig und rief lauter:
    »Macquart! Macquart!«
    Nichts rührte sich, die Bienen summten, die unendliche heitere Klarheit des Himmels hüllte diesen einsamen Winkel ein. Da gab er sich einen Ruck. Vielleicht schlief der Onkel. Doch sowie er links die Tür zur Küche aufgestoßen hatte, drang ein fürchterlicher Gestank daraus hervor, der unerträgliche Gestank von Knochen und Fleisch, die in Kohlenglut gefallen sind. Er vermochte in dem Raum kaum zu atmen, halb erstickt und blind gemacht durch eine Art dichten Qualm, eine stagnierende, Übelkeit erregende Dunstwolke. Die dünnen Lichtstrahlen, die durch die Ritzen fielen, erlaubten ihm nicht, etwas klar zu erkennen. Dennoch stürzte er auf den Kamin zu, ließ aber seinen ersten Gedanken an eine Feuersbrunst fallen, denn es war kein Feuer darin gewesen, und auch die Möbel ringsum sahen unbeschädigt aus. Und da er nicht klug daraus wurde und das Empfinden hatte, er müßte in dieser verpesteten Luft ohnmächtig werden, eilte er zum Fenster und stieß heftig die Läden auf. Eine Flut von Licht drang herein.
    Was der Doktor dann endlich feststellen konnte, erfüllte ihn mit Verwunderung. Jeder Gegenstand befand sich an seinem Platz: das Glas und die leere Schnapsflasche standen auf dem Tisch; nur der Stuhl, auf dem der Onkel gesessen haben mußte, trug Spuren eines Brandes, die vorderen Beine waren rauchgeschwärzt, das Stroh war halb verbrannt. Was war aus dem Onkel geworden? Wo mochte er nur geblieben sein? Und vor dem Stuhl lag auf dem von einer Fettlache besudelten Fliesenboden nur ein Häufchen Asche und daneben die Pfeife, eine schwarze Pfeife, die beim Herunterfallen nicht einmal zerbrochen war. Der ganze Onkel war da in dieser Handvoll feiner Asche, und er war auch in der rötlichen Wolke, die zum geöffneten Fenster hinauszog, in der Rußschicht, die die ganze Küche überzogen hatte, ein schauderhafter Niederschlag von verbranntem Fleisch, der alles umhüllte und sich fett und widerlich anfühlte.
    Dies war der schönste Fall von Selbstverbrennung, den ein Arzt jemals beobachtet hatte. Der Doktor hatte wohl in manchen Abhandlungen von erstaunlichen Fällen gelesen, darunter von dem einer Schuhmachersfrau, einer Säuferin, die auf ihrem Fußwärmer eingeschlafen war und von der man nichts als einen Fuß und eine Hand wiedergefunden hatte. Er selber war bisher mißtrauisch gewesen; er hatte nicht wie die Alten die Meinung gelten lassen können, daß ein mit Alkohol durchtränkter Körper ein unbekanntes Gas entwickle, das sich von selbst entzünden und Fleisch und Knochen verzehren könne. Doch jetzt stritt er es nicht mehr ab; um sich den Vorgang zu erklären, rekonstruierte er die Fakten: die durch die Trunkenheit bewirkte Bewußtlosigkeit, die vollkommene Gefühllosigkeit, die Pfeife, die auf die Kleidung gefallen war und sie in Brand gesetzt hatte, das von Alkohol durchtränkte brennende, aufplatzende Fleisch, das schmelzende Fett, von dem ein Teil auf die Erde floß, während der verbliebene Teil die Verbrennung beschleunigte, und schließlich alles übrige, die Muskeln, die Organe, die Knochen, die im Auflodern des ganzen Körpers verzehrt wurden. Das war nun der ganze Onkel mitsamt seinen Kleidern aus blauem Tuch, mitsamt der Pelzmütze, die er jahraus, jahrein trug. Zweifellos war er, sowie er wie ein Freudenfeuer zu brennen begonnen hatte, vornübergekippt, wodurch sich auch erklärte, weshalb der Stuhl kaum angeschwärzt war; und nichts war von ihm übriggeblieben, nicht ein Knochen, nicht ein Zahn, nicht ein Fingernagel, nichts als dieses Häufchen grauen Staubes, den der durch die Tür hereindringende Luftzug wegzufegen drohte.
    Inzwischen war Clotilde hereingekommen, während Charles draußen blieb, da ihn das anhaltende Jaulen des

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