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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Hundes interessierte.
    »Ach, mein Gott, was für ein Gestank!« sagte sie. »Was ist denn hier los?«
    Als Pascal ihr die außergewöhnliche Katastrophe erklärt hatte, schauderte ihr. Sie hatte schon die Flasche ergriffen, um sie zu untersuchen, stellte sie jedoch voll Abscheu wieder hin, als sie fühlte, daß die Flasche vom Fleisch des Onkels feucht und klebrig war. Man konnte nichts anfassen, jeder kleinste Gegenstand war gleichsam von diesem gelblichen Niederschlag überzogen, der an den Händen klebenblieb.
    Ein Schauder des Entsetzens und des Ekels schüttelte Clotilde, und unter Schluchzen stieß sie stammelnd hervor:
    »Welch trauriger Tod! Welch grauenvoller Tod!«
    Pascal hatte sich vom ersten Schreck erholt, er lächelte beinahe.
    »Wieso grauenvoll? Er war vierundachtzig Jahre alt, und er hat nicht gelitten! Ich finde diesen Tod großartig für diesen alten Banditen, der wahrhaftigen Gottes, man kann es jetzt ja ruhig sagen, kein sehr vorbildliches Leben führte … Du erinnerst dich sicher an seine Akte, er hatte wirklich schreckliche und unsaubere Sachen auf dem Gewissen, was ihn nicht hinderte, später wieder als ordentlicher Mensch zu leben, alt zu werden inmitten aller Genüsse als ein spottlustiger braver Mann, der für die großen Tugenden belohnt wurde, die er nicht besessen hat … Und da stirbt er nun auch noch königlich als der Fürst der Säufer, geht von selbst in Flammen auf und verbrennt auf dem lodernden Scheiterhaufen seines eigenen Körpers!«
    Hingerissen weitete der Doktor die Szene mit ausholender Gebärde aus.
    »Siehst du hier? So betrunken zu sein, daß man nicht fühlt, wenn man brennt, sich selber anzuzünden wie ein Johannisfeuer, sich in Rauch aufzulösen bis zum letzten Knochen! Na? Siehst du, wie der Onkel in den Weltraum entschwunden ist? Aufgelöst in der Luft schwebend und alles, was ihm gehörte, umfließend, hat er sich zunächst in alle vier Ecken dieses Raumes ausgebreitet und ist dann, als ich das Fenster öffnete, daraus entwichen, mitten in den Himmel hinein, den Horizont erfüllend … Das ist doch ein wundervoller Tod! Verschwinden, nichts von sich zurücklassen, ein Häuflein Asche und eine Pfeife daneben!«
    Und er hob die Pfeife auf, um, wie er sagte, eine Reliquie vom Onkel zu behalten, während Clotilde, die einen Anflug bitteren Spotts aus seinem Ausbruch herausgehört zu haben glaubte, mit einem Schauder noch einmal ihrem Entsetzen und ihrem Ekel Ausdruck gab.
    Aber sie hatte etwas unter dem Tisch liegen sehen, vielleicht war es irgendein Überbleibsel.
    »Sieh doch da, dieser Stoffetzen!«
    Er bückte sich und hob zu seiner Überraschung einen Frauenhandschuh auf, einen grünen Handschuh.
    »Ach«, rief sie, »das ist der Handschuh von Großmutter, du erinnerst dich, der Handschuh, der ihr gestern nachmittag fehlte.«
    Sie sahen sich beide an, dieselbe Erklärung kam ihnen auf die Lippen: Félicité war tags zuvor offenbar hiergewesen. Und eine jähe Überzeugung erwuchs im Geiste des Doktors, die Gewißheit, daß seine Mutter gesehen hatte, wie der Onkel in Brand geriet, und daß sie ihn nicht gelöscht hatte. Das ging für ihn aus mehreren Anzeichen hervor, aus dem Zustand der vollständigen Abkühlung, in dem er den Raum vorgefunden hatte, aus der Berechnung, die er über die zur Verbrennung notwendigen Stunden anstellte. Er sah deutlich, daß derselbe Gedanke in den erschreckten Augen seiner Gefährtin entstand. Doch da es unmöglich schien, jemals die Wahrheit zu erfahren, erfand er ganz laut die einfachste Geschichte.
    »Sicher war deine Großmutter nach ihrem Besuch in der Anstalt hier, um dem Onkel guten Tag zu sagen, bevor er zu trinken anfing.«
    »Komm fort! Komm fort!« rief Clotilde. »Ich ersticke, ich kann hier nicht mehr bleiben!«
    Pascal wollte überdies den Todesfall melden. Er ging hinter ihr hinaus, schloß das Haus ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. Und draußen hörten sie von neuem Loubet, den kleinen gelben Hund, der noch immer jaulte. Er hatte sich zwischen Charles˜ Beine geflüchtet, und das Kind stieß ihn belustigt mit dem Fuß, hörte ihn winseln, ohne zu begreifen.
    Der Doktor ging geradewegs zu Herrn Maurin, dem Notar von Les Tulettes, der zugleich der Bürgermeister der Gemeinde war. Seit etwa zehn Jahren verwitwet, lebte er mit seiner Tochter zusammen, die ebenfalls verwitwet und kinderlos war, und unterhielt gute nachbarliche Beziehungen mit dem alten Macquart; zuweilen hatte er den kleinen Charles tagelang

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