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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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bei sich behalten, da seine Tochter für dieses so schöne und so beklagenswerte Kind Teilnahme empfand. Herr Maurin erschrak heftig und wollte mit dem Doktor noch einmal hinaufgehen, um den Vorfall zu bezeugen; er versprach, eine vorschriftsmäßige Sterbeurkunde auszustellen. Was die kirchliche Feier, die Beisetzung betraf, so erschien dies recht schwierig. Als man die Küche wieder betrat, hatte der Luftzug die Asche davongeweht; und bei den Bemühungen, sie pietätvoll wieder aufzunehmen, brachte man kaum mehr zusammen als das, was man vom Fliesenboden abgekratzt hatte, lauter alten Schmutz, in dem wohl recht wenig vom Onkel enthalten sein mochte. Was also sollte man begraben? Besser war es, darauf zu verzichten. Und man verzichtete darauf. Im übrigen war der Onkel kaum jemals zur Kirche gegangen, und die Familie begnügte sich damit, später Messen für den Frieden seiner Seele lesen zu lassen.
    Der Notar hatte gleich verkündet, daß ein Testament vorhanden und bei ihm hinterlegt sei. Er bestellte den Doktor unverzüglich für den übernächsten Tag zu sich, um ihn offiziell davon in Kenntnis zu setzen, denn er glaubte ihm sagen zu können, daß der Onkel ihn zum Testamentsvollstrecker bestimmt habe. Und als gefälliger Mensch erbot er sich zum Schluß, Charles bis dahin bei sich zu behalten, da er begriff, wie sehr der Kleine, der im Hause seiner Mutter so herumgestoßen wurde, bei all diesen Geschichten im Weg sein mußte. Charles schien entzückt und blieb in Les Tulettes.
    Erst sehr spät, mit dem SiebenUhrZug, konnten Clotilde und Pascal nach Plassans zurückkehren, nachdem der Doktor schließlich doch noch die beiden Kranken, die er sehen wollte, besucht hatte. Doch als sie am übernächsten Tage beide zu der Zusammenkunft mit Herrn Maurin wieder nach Les Tulettes kamen, erlebten sie die unangenehme Überraschung, die alte Frau Rougon bei ihm anzutreffen. Sie hatte natürlich vom Tode Macquarts erfahren und war herbeigeeilt, ganz aufgeregt und überströmend von mitteilsamem Schmerz. Die Verlesung des Testaments war im übrigen sehr einfach und verlief ohne Zwischenfall: Macquart hatte alles, was er von seinem kleinen Vermögen erübrigen konnte, dazu bestimmt, ein prächtiges Grabmal aus Marmor für sich errichten zu lassen, mit zwei monumentalen weinenden Engeln mit zusammengefalteten Flügeln. Das war so ein Einfall von ihm, die Erinnerung an ein ebensolches Grabmal, das er im Ausland gesehen hatte, in Deutschland vielleicht, als er Soldat war. Und er beauftragte seinen Neffen Pascal, die Ausführung des Monuments zu überwachen, da nur dieser, so fügte er hinzu, in der Familie Geschmack besitze.
    Während der Verlesung des Testaments war Clotilde im Garten des Notars geblieben und hatte sich im Schatten einer alten Kastanie auf eine Bank gesetzt. Als Pascal und Félicité erschienen, herrschte einen Augenblick große Verlegenheit, denn sie hatten seit Monaten nicht mehr miteinander gesprochen. Übrigens gab sich die alte Dame vollkommen ungezwungen und enthielt sich jeder Anspielung auf die neue Situation; sie gab zu verstehen, daß man sich sehr wohl begegnen und vor den Leuten einig erscheinen könne, ohne daß man sich deswegen aussprechen oder sich versöhnen müsse. Doch sie machte den Fehler, allzusehr zu betonen, welch schweren Kummer ihr Macquarts Tod bereitet habe. Pascal, der ahnte, wie sie innerlich vor Freude sprang, welch unendliche Wonne sie empfand bei dem Gedanken, daß diese Wunde der Familie, die Schandtaten des Onkels, nun endlich vernarben würde, gab einer Regung der Ungeduld, der Empörung nach, die in ihm tobte. Seine Blicke richteten sich unwillkürlich auf die Handschuhe seiner Mutter, die heute schwarz waren.
    Sie klagte gerade mit sanfter Stimme:
    »War es etwa vernünftig, in seinem Alter ganz allein leben zu wollen wie ein Wolf? Wenn er wenigstens ein Dienstmädchen bei sich gehabt hätte!«
    Da fragte der Doktor, ohne sich dessen klar bewußt zu sein, einem so unwiderstehlichen Bedürfnis gehorchend, daß er ganz bestürzt war, als er seine Worte vernahm:
    »Und warum habt Ihr ihn nicht gelöscht, Mutter, da Ihr ja bei ihm wart?«
    Die alte Frau Rougon wurde erschreckend bleich. Wie konnte ihr Sohn wissen? Sie sah ihn einen Augenblick sprachlos an, während Clotilde in der jetzt offenkundigen Gewißheit des Verbrechens ebenfalls erbleichte. Dieses erschreckte Schweigen, das zwischen Mutter, Sohn und Enkelin entstanden war, dieses schaudernde Schweigen, in dem die

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