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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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beharrlichen, ungeheuren Werkes eines ganzen Lebens, das das Feuer innerhalb von zwei Stunden vernichtet hatte. Und ihr Zorn steigerte sich zu einem Ausbruch wilder Empörung.
    »Diebe seid ihr, Mörder! Abscheulich, dieser Mord, den ihr begangen habt! Ihr habt den Tod entweiht, ihr habt den Gedanken umgebracht und den Geist getötet!«
    Die alte Frau Rougon wich nicht zurück. Im Gegenteil, mit erhobenem Haupt ging sie auf Clotilde zu und verteidigte die von ihr verfügte und ausgeführte Vernichtung.
    »Sprichst du so zu mir, zu deiner Großmutter? Ich habe getan, was ich tun mußte und was du einst mit uns tun wolltest.«
    »Ihr hattet mich irregemacht, damals. Aber ich habe gelebt, ich habe geliebt, und ich habe begriffen … Es war ein heiliges Erbe, das meinem Mut hinterlassen wurde, der letzte Gedanke eines Toten, das, was von einem großen Geist geblieben war und wovon ich alle überzeugen wollte … Ja, du bist meine Großmutter, aber es ist, als hättest du deinen Sohn verbrannt!«
    »Pascal verbrannt, weil ich seine Papiere verbrannt habe!« rief Félicité. »Ha, ich hätte die ganze Stadt angezündet, um den Ruhm unserer Familie zu retten!«
    Kampfbereit, siegreich kam sie immer näher, und Clotilde verteidigte die von ihr geretteten angekohlten Fragmente, die jetzt auf dem Tisch lagen, mit ihrem Körper, aus Furcht, Félicité könnte sie wieder in die Flammen werfen. Die alte Frau Rougon verschmähte sie jedoch, sie kümmerte sich nicht einmal um das Feuer im Schornstein, das glücklicherweise von selbst nachließ; Martine erstickte unterdessen mit der Kohlenschaufel den Ruß und die letzten aus der glühenden Asche aufzuckenden Flammen.
    »Du weißt genau«, fuhr die alte Frau fort, deren kleine Gestalt zu wachsen schien, »daß ich nur einen Ehrgeiz, nur eine Leidenschaft kannte: das Glück und die Herrschaft der Unseren. Mein ganzes Leben lang habe ich gekämpft und gewacht; ich habe nur deshalb so lange gelebt, um die niederträchtigen Geschichten aus der Welt zu schaffen und eine glorreiche Legende von uns zu hinterlassen … Ja, ich habe nie die Hoffnung aufgegeben, ich habe nie die Waffen gestreckt, ich war bereit, die geringsten Gelegenheiten zu nutzen … Und alles, was ich wollte, habe ich erreicht, weil ich geduldig zu warten wußte.«
    Mit einer weit ausholenden Gebärde wies sie auf den leeren Schrank und auf den Kamin, in dem die letzten Funken verloschen.
    »Jetzt ist es vollbracht, unser Ruhm ist gesichert, diese abscheulichen Papiere können uns nicht mehr anklagen, und ich lasse nichts zurück, was uns bedrohen könnte … Die Rougons triumphieren.«
    Außer sich hob Clotilde den Arm, als wollte sie die Großmutter aus dem Haus jagen. Doch Félicité ging von allein; sie ging in die Küche hinunter, um sich ihre schwarzen Hände zu waschen und um sich die Haare wieder festzustecken. Martine wollte ihr folgen, doch als sie sich umwandte, sah sie die Geste ihrer jungen Herrin und kam zurück.
    »Oh, ich, Mademoiselle, ich gehe übermorgen, wenn der Herr Doktor auf dem Friedhof liegt.«
    Schweigen trat ein.
    »Aber ich schicke Euch nicht fort, Martine, ich weiß, daß Ihr kaum Schuld tragt … Seit dreißig Jahren lebt Ihr nun schon in diesem Haus. Bleibt doch, bleibt bei mir.«
    Das alte Mädchen schüttelte den grauen Kopf, ganz bleich und wie verbraucht.
    »Nein, ich habe dem Herrn Doktor gedient, und nach dem Herrn Doktor diene ich keinem mehr.«
    »Aber mir doch!«
    Martine blickte auf und schaute der jungen Frau ins Gesicht, diesem geliebten kleinen Mädchen, das sie hatte heranwachsen sehen.
    »Ihnen, nein!«
    Clotilde war ratlos; sie wollte zu Martine von dem Kind sprechen, das sie unter dem Herzen trug, von dem Kind ihres Herrn, dem zu dienen sie vielleicht einwilligen würde. Doch Martine erriet ihren Gedanken; sie erinnerte sich an das Gespräch, das sie belauscht hatte, und sie schaute auf den fruchtbaren Mutterleib, der noch keine Schwangerschaft erkennen ließ. Einen Augenblick schien sie zu überlegen. Dann sagte sie ohne Umschweife:
    »Dem Kind, nicht wahr? Nein!«
    Zum Schluß regelte sie das Geschäftliche, als praktischer Mensch, der den Wert des Geldes kennt.
    »Da ich ja habe, was ich brauche, werde ich in aller Ruhe irgendwo meine Jahreszinsen verzehren … Sie, Mademoiselle, kann ich verlassen, denn Sie sind nicht arm. Herr Ramond wird Ihnen morgen erklären, wie man noch viertausend Francs Jahreszinsen bei dem Notar hat retten können. Hier ist einstweilen der

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