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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Haken erreichen und aus dem Ring treiben konnte. Der Riegel des Schlosses glitt zurück, die beiden Türflügel öffneten sich.
    »Endlich!« rief Félicité außer sich.
    Jetzt hielt sie besorgt inne und lauschte gespannt zum Schlafzimmer hin, in der Befürchtung, Clotilde geweckt zu haben. Aber das ganze Haus schlief in der tiefen, dunklen Stille. Aus dem Zimmer drang noch immer nichts als die erhabene Ruhe des Todes; sie vernahm nur den hellen Klang der Stutzuhr, die mit ihrem Schlag die erste Morgenstunde verkündete. Und der Schrank stand weit offen, gähnend weit, und in seinen drei Fächern lagen die Papiere aufgehäuft, von denen er überquoll. Und sie fiel darüber her, das Vernichtungswerk begann, mitten in dem geheiligten Dunkel, in der unendlichen Ruhe dieser Totenwache.
    »Endlich!« wiederholte sie ganz leise. »Seit dreißig Jahren habe ich das gewollt und darauf gewartet! Schnell, schnell, Martine! Helft mir!«
    Schon hatte sie den hohen Stuhl vom Pult herbeigeholt und war mit einem Satz hinaufgestiegen, um zunächst die Papiere aus dem obersten Fach herunterzuholen, denn sie erinnerte sich, daß sich dort die Akten befanden. Doch sie war überrascht, daß sie nicht die Aktendeckel aus starkem blauem Papier entdeckte; es lagen dort nur noch dicke Manuskripte, die abgeschlossenen und noch nicht veröffentlichten Werke des Doktors, Arbeiten von unschätzbarem Wert, alle seine Forschungen, alle seine Entdeckungen, das Monument seines künftigen Ruhmes, das er Ramond vermacht hatte, damit dieser dafür Sorge trage. Zweifellos hatte er einige Tage vor seinem Tode eine Umstellung, eine neue Anordnung vorgenommen, um die Akten den ersten Nachforschungen zu entziehen, da er sich sagte, daß allein die Akten bedroht wären und daß niemand auf der Welt wagen würde, seine anderen Arbeiten zu vernichten.
    »Ach, egal«, murmelte Félicité. »Es ist soviel davon da – fangen wir nur irgendwo an, wenn wir fertig werden wollen … Wo ich nun schon einmal hier oben bin, machen wir das erst mal leer … Da, paß auf, Martine!«
    Und sie räumten das Fach aus, sie reichte dem Dienstmädchen nacheinander die Manuskripte zu, die Martine so leise wie möglich auf den Tisch legte. Bald lag da der ganze Haufen, und Félicité sprang vom Stuhl.
    »Ins Feuer damit, ins Feuer! Wir finden schon noch die anderen Papiere, die, die ich suche … Ins Feuer damit, ins Feuer! Erst einmal diese hier! Auch den kleinsten Fetzen Papier, auch die unleserlichen Notizen, ins Feuer damit, ins Feuer! Nur so können wir sicher sein, das ansteckende Übel auszurotten!«
    In ihrem Haß gegen die Wahrheit, in ihrer Besessenheit, das Zeugnis der Wissenschaft zu vernichten, zerriß sie selber mit wildem Fanatismus das erste Blatt eines Manuskripts, zündete es an der Lampe an und warf die flammende Fackel in den großen Kamin, in dem vielleicht seit zwanzig Jahren kein Feuer mehr gebrannt hatte; und sie nährte die Flamme, indem sie nach und nach das ganze Manuskript hineinwarf. Martine, die ebenfalls zu allem entschlossen war, kam ihr zu Hilfe, hatte ein anderes dickes Heft ergriffen und riß es auseinander. Jetzt ging das Feuer nicht mehr aus, der hohe Kamin füllte sich mit lodernder Flammenglut, mit einer hellen Feuergarbe, die nur für Augenblicke herabsank, um dann mit verstärkter Heftigkeit emporzuschießen, wenn sie durch neue Nahrung neu entfacht wurde. Die Glut wurde immer mächtiger, der Haufen feiner Asche wuchs immer höher, eine dicke Schicht von schwarzen Blättern, an denen Millionen Funken entlangliefen. Aber das war eine langwierige, endlose Arbeit, denn warf man zu viele Blätter auf einmal hinein, brannten sie nicht, man mußte sie dann mit der Feuerzange aufschütteln und umwenden; das beste war es, die Papiere zusammenzuknüllen und zu warten, bis sie richtig brannten, ehe man andere darauf warf. Allmählich erlangten sie darin Geschicklichkeit, und die Arbeit ging flott voran.
    Als Félicité hastig einen neuen Armvoll Papiere holen ging, stieß sie gegen einen Sessel.
    »Oh, Madame, passen Sie auf!« sagte Martine. »Wenn nun jemand kommt!«
    »Wer soll denn kommen? Clotilde? Die schläft fest, das arme Mädchen! Und wenn sie kommt, nachdem alles vorbei ist, schert mich das wenig! Laßt nur, ich werde mich nicht verstecken, ich lasse den leeren Schrank ganz weit offenstehen und sage ganz laut, daß ich es war, die das Haus gereinigt hat … Wenn nicht eine einzige geschriebene Zeile mehr übrig ist, mein Gott, dann

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