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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Bett, in dem er gestorben war, schlief sie jede Nacht wie früher, als sie ein junges Mädchen war; nur stand jetzt neben diesem Bett die Wiege, die sie des Abends dort hineintrug. Es war noch immer dasselbe anheimelnde Zimmer mit den vertrauten alten Möbeln, mit den vom Alter verblichenen Wandbespannungen im Farbton der Morgenröte, das uralte Zimmer, das durch das Kind von neuem verjüngt wurde. Wenn sie bei den Mahlzeiten ganz allein und wie verloren unten in dem hellen Eßzimmer saß, vernahm sie dort den Widerhall des Lachens, des kräftigen Appetits ihrer Jugend, als sie beide so fröhlich dort gegessen und auf die Gesundheit des Lebens getrunken hatten. Und auch mit dem Garten, mit dem ganzen Besitztum war sie durch die innigsten Bande verknüpft, denn sie konnte keinen Schritt darin tun, ohne die Bilder ihrer Gemeinsamkeit heraufzubeschwören. Auf der Terrasse, im schmalen Schatten der großen hundertjährigen Zypressen, hatten sie so oft das Tal der Viorne betrachtet, das die Felswände der Seille und die verbrannten Hänge von SainteMarthe begrenzten! Und wie oft waren sie übermütig zwischen den ärmlichen Öl und Mandelbäumen hindurch die mörtellos gefügten Stufen hurtig hinaufgeklettert, wie aus der Schule entlaufene Jungen! Da war auch noch der Pinienhain, der dufterfüllte warme Schatten, wo die Nadeln unter den Schritten knisterten, die ungeheure Tenne mit dem weichen Gras, in dem es sich wohlig lag und wo man am Abend, wenn die Sterne aufgingen, den ganzen Himmel entdeckte! Und da waren vor allem die riesigen Platanen, der köstliche Friede, den sie an den Sommertagen dort genossen, während sie dem erfrischenden Gesang der Quelle lauschten, dem reinen kristallenen Ton, den sie seit Jahrhunderten an und abschwellen ließ! Bis hin zu den alten Steinen des Hauses, bis hin zum Erdboden gab es auf der Souleiade kein noch so winziges Fleckchen, wo sie nicht den warmen Pulsschlag ihres Blutes, ihres gemeinsamen Lebens gespürt hätte, das sich dort ausgebreitet und mit allem verbunden hatte.
    Doch am liebsten verbrachte sie ihre Tage im großen Arbeitszimmer, und dort durchlebte sie immer von neuem ihre schönsten Erinnerungen. Auch hier war nur ein einziges Möbelstück hinzugekommen: die Wiege. Der Tisch des Doktors stand an seinem Platz vor dem linken Fenster: Pascal hätte hereinkommen und sich hinsetzen können, denn der Stuhl war nicht von der Stelle gerückt worden. Auf dem langen Tisch in der Mitte, zwischen den alten Bergen von Büchern und Broschüren, war nur ein heller Farbton neu, die Babywäsche, die Clotilde ordnen wollte. Die Bücherschränke zeigten noch dieselben Bücherreihen, der große Eichenschrank schien, fest verschlossen, noch denselben Schatz in seinem Innern zu bergen. Unter der verräucherten Zimmerdecke schwebte noch immer der Duft der Arbeit über dem bunten Durcheinander der Stühle, über der freundlichen Unordnung dieser gemeinsamen Werkstatt, die so lange von den Einfällen des jungen Mädchens und von den Forschungen des Wissenschaftlers erfüllt gewesen war. Mit Rührung betrachtete Clotilde ihre alten Pastelle, die an die Wände genagelt waren, die aufs sorgfältigste ausgeführten Kopien lebender Blumen und dann die dem Reich der Schimäre zugehörigen Gebilde, die Traumblüten, bei denen die närrische Phantasie zuweilen den Sieg davongetragen hatte.
    Als Clotilde die letzten kleinen Wäschestücke auf dem Tisch geordnet hatte, schaute sie auf, und ihr Blick traf das vor ihr hängende Pastell vom alten König David, dessen Hand auf der nackten Schulter Abisags, des jungen Mädchens aus Sunam, ruhte. Sie lachte nicht mehr, und dennoch fühlte sie in der glücklichen Rührung, die sie empfand, daß Freude ihr Gesicht belebte. Wie hatten sie sich geliebt, wie hatten sie von Ewigkeit geträumt an dem Tage, da sie sich an diesem stolzen und zärtlichen Symbol ergötzten! Der alte König, prunkvoll gekleidet in ein glatt herabfallendes, von Edelsteinen schweres Gewand, trug den königlichen Stirnreif in seinem schneeweißen Haar, und sie war noch prächtiger anzuschauen, nur mit der lilienweißen Seide ihrer Haut, ihrer zierlichen schlanken Gestalt, ihrer runden kleinen Brust, ihren biegsamen Armen voll göttlicher Anmut. Jetzt war er dahingegangen, er schlief unter der Erde, während sie, ganz in Schwarz gekleidet, nichts von ihrer triumphierenden Nacktheit sehen ließ und nur noch das Kind hatte, um die ruhige, unbedingte Hingabe zum Ausdruck zu bringen, mit der sie

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