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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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schert mich der Rest wenig!«
    Fast zwei Stunden lang brannte der Kamin. Sie waren wieder zum Schrank gegangen und hatten zwei weitere Fächer ausgeräumt, es blieb nur noch das Fach ganz unten, das mit einem Wirrwarr von Notizen vollgestopft schien. Berauscht von der Hitze dieses Freudenfeuers, atemlos und in Schweiß gebadet, überließen sie sich einer wilden Zerstörungswut. Sie kauerten sich nieder, machten sich die Hände schwarz, wenn sie die nur halb verbrannten Manuskripte ins Feuer zurückstießen, und waren so ungestüm in ihren Bewegungen, daß ihnen Strähnen ihrer grauen Haare über die in Unordnung geratenen Kleider hingen. Es war ein Hexentanz, der einen höllischen Scheiterhaufen schürte für irgendeine Schandtat, es war das Martyrium eines Heiligen; der geschriebene Gedanke wurde öffentlich verbrannt, eine ganze Welt der Wahrheit und der Hoffnung vernichtet. Und die große Helligkeit, die für Augenblicke die Lampe verblassen ließ, tauchte den weiten Raum in rote Glut, ließ ihre übergroßen Schatten an der Decke tanzen.
    Aber als Félicité den unteren Teil des Schrankes ausräumen wollte, nachdem sie bereits ganze Packen aus dem bunten Durcheinander von Notizen verbrannt hatte, die dort angehäuft waren, stieß sie einen erstickten Triumphschrei aus.
    »Ah, da sind sie! Ins Feuer damit! Ins Feuer!«
    Sie hatte endlich die Akten gefunden. Ganz hinten, hinter dem Berg von Notizen, hatte der Doktor die blauen Aktendeckel versteckt. Und nun kam eine wahnsinnige Zerstörungswut zum Ausbruch, Félicité wurde von Raserei gepackt, und die Akten, die sie mit beiden Händen zusammenraffte und in die Flammen schleuderte, erfüllten den Kamin mit dem Grollen einer Feuersbrunst.
    »Sie brennen, sie brennen! Endlich verbrennen sie! Martine, noch diese, noch diese … Ach, was für ein Feuer, was für ein großes Feuer!«
    Aber das Dienstmädchen wurde ängstlich.
    »Madame, seien Sie vorsichtig, Sie werden noch das Haus anstecken … Hören Sie nicht, wie das dröhnt?«
    »Ach, was macht das schon? Soll ruhig alles verbrennen! Sie brennen, sie brennen, ist das schön! Noch drei, noch zwei, und jetzt brennt auch die letzte!«
    Außer sich, schreckenerregend, lachte sie vor Behagen, als plötzlich Stücke brennenden Rußes in den Kamin fielen. Das Grollen wurde fürchterlich, es brannte jetzt im Schornstein, der niemals gekehrt worden war. Das schien Félicité noch mehr anzustacheln, während das Dienstmädchen den Kopf verlor, zu schreien anfing und im Zimmer hin und her lief.
    Clotilde schlief neben dem toten Pascal in der erhabenen Ruhe des Schlafzimmers. Kein anderes Geräusch war zu hören gewesen als der leise, zitternde Glockenklang der Stutzuhr, die drei Uhr geschlagen hatte. Die Kerzen brannten mit hoher, stetiger Flamme, kein Schauer bewegte die Luft. Und in ihrem schweren, traumlosen Schlaf hörte sie dennoch so etwas wie einen Tumult, einen immer lauter werdenden alptraumähnlichen Galopp. Als sie dann die Augen öffnete, begriff sie zunächst nicht. Wo war sie? Warum diese ungeheure Last, die ihr das Herz abdrückte? Dann kam ihr mit Schrecken die Wirklichkeit zu Bewußtsein: sie sah wieder Pascal, sie hörte nebenan Martines Schreie, und voller Angst stürzte sie hinaus, um zu erfahren, was dort vorging.
    Aber schon auf der Schwelle erfaßte Clotilde die ganze Szene mit grausamer Klarheit: den weit offenstehenden, vollkommen leeren Schrank; Martine, die aus Angst vor dem Feuer den Kopf verloren hatte; ihre freudestrahlende Großmutter Félicité, die die letzten Reste der Akten mit dem Fuß in die Flammen stieß. Qualm und umherfliegender Ruß erfüllten das große Arbeitszimmer, in dem das Dröhnen der Feuersbrunst wie ein mörderisches Röcheln klang, wie jener Galopp der Verwüstung, den sie in der Tiefe ihres Schlafs gehört hatte.
    Und derselbe Schrei kam ihr über die Lippen, den Pascal in der Gewitternacht ausgestoßen hatte, als er sie dabei ertappte, wie sie seine Papiere stehlen wollte.
    »Diebe! Mörder!«
    Sie stürzte blitzschnell zum Kamin, und trotz des schrecklichen Grollens, trotz der herabfallenden Stücke rotglühenden Rußes, auf die Gefahr hin, daß ihre Haare Feuer fingen und sie sich die Hände verbrannte, ergriff sie den Packen der noch nicht völlig verbrannten Blätter und löschte sie beherzt, indem sie sie fest an sich drückte. Aber das war recht wenig, kaum einige Fetzen, nicht eine vollständige Seite, nicht einmal Bruchstücke der gewaltigen Arbeit, des

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