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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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auftreten; die indirekte Vererbung, bei der Eigenschaften aus Seitenlinien – Onkel und Tanten, Vettern und Basen – auftreten; die überspringende Vererbung, bei der Merkmale von Vorfahren nach einer oder mehreren Generationen auftreten; schließlich die Vererbung einer Nachwirkung, bei der Eigenschaften früherer Partner auftreten, zum Beispiel Eigenschaften des ersten Mannes, der das Weib für die künftige Empfängnis gleichsam gezeichnet hat, selbst wenn er nicht mehr Urheber dieser Empfängnis ist. Im Falle des Angeborenseins vereinigen sich die physischen und psychischen Merkmale der Eltern, ohne daß sich von ihnen irgend etwas in dem neuen oder neu scheinenden Wesen wiederzufinden scheint. Später hatte er, auf diese beiden Bezeichnungen – Vererbung, Angeborensein – zurückgreifend, sie wieder untergliedert, wobei er die Vererbung in zwei Fälle teilte, die Elektion des Vaters oder der Mutter beim Kind, die Wahl, die individuelle Dominanz oder die Mischung der Merkmale beider, eine Mischung, die drei Formen annehmen und vom unvollkommensten bis zum vollkommensten Zustand gehen konnte: Verschweißung, Dissemination, Verschmelzung. Für das Angeborensein hingegen gab es nur einen möglichen Fall, die Verbindung, die chemische Verbindung, die bewirkt, daß zwei zusammentreffende Körper einen neuen Körper bilden können, der völlig verschieden ist von denen, die ihn erzeugt haben. Dies war das Ergebnis unzähliger Beobachtungen, nicht nur in der Anthropologie, sondern auch in der Zoologie, im Obstbau und im Gartenbau. Die Schwierigkeit bestand darin, aus diesen vielfältigen, durch die Analyse beigebrachten Fakten die Synthese zu bilden, die Theorie in Worte zu fassen, die diese Fakten erklärte. Da fühlte er, daß er auf jenem schwankenden Boden der Hypothese stand, den jede neue Entdeckung verändert; und wenn er aus dem Bedürfnis des menschlichen Geistes heraus, zu einem Abschluß zu kommen, auch nicht umhinkonnte, eine Lösung zu geben, war er doch einsichtig genug, die Frage an sich offenzulassen. Er war also von den Gemmulae Darwins17, von seiner Pangenesis, über die »stirpes« von Galton18 zur Perigenesis Haeckels19 gelangt. Dann hatte er die Vorahnung jener Theorie gehabt, der Weismann20 später zum Sieg verhelfen sollte; er war bei der Vorstellung von einer ungemein feinen und vielschichtigen Substanz, dem Keimplasma, stehengeblieben, von dem ein Teil in jedem neuen Wesen immer vorhanden bleibt, damit er auf diese Weise unveränderlich, unwandelbar von Generation zu Generation weitergegeben werde. Das schien alles zu erklären; aber welch unendliches Mysterium immer noch, diese Welt der von den Spermatozoen und von der Eizelle weitergegebenen Ähnlichkeiten, wo das menschliche Auge selbst bei stärkster Vergrößerung durch das Mikroskop absolut nichts mehr erkennt! Und er war durchaus darauf gefaßt, daß seine Theorie eines Tages ihre Gültigkeit verlor, er betrachtete sie als eine vorläufige Erklärung, die für den augenblicklichen Stand der Frage ausreichte, bei der ewigen Untersuchung des Lebens, dessen eigentlicher Quell, dessen Emporsprudeln uns auf immerdar zu entgehen scheint.
    Ach, diese Vererbung, welch ein Gegenstand endloser Grübeleien für ihn! Das Unerwartete, das Wunderbare, bestand es nicht darin, daß die Ähnlichkeit zwischen Eltern und Kindern nicht vollständig, nicht mathematisch genau war? Er hatte für seine Familie zunächst einen logisch abgeleiteten Stammbaum aufgestellt, bei dem die Anteile des Einflusses von Generation zu Generation sich je zur Hälfte verteilten auf den Anteil des Vaters und den Anteil der Mutter. Aber die lebendige Wirklichkeit widerlegte fast in jedem Fall die Theorie. Statt die Ähnlichkeit selber zu sein, war die Vererbung nur das Streben nach Ähnlichkeit, das durch die Umstände und die Umwelt behindert wurde. Und er war zu der Annahme gelangt, die er als die Hypothese von der Zellverkümmerung bezeichnete. Das Leben ist nur eine Bewegung, und da die Vererbung die weitergegebene Bewegung ist, schieben, drängen, stauchen die Zellen einander, wenn sie sich vermehren und jede das ererbte Streben entfaltet; falls nun in diesem Kampf die schwächeren Zellen unterlagen, konnten im Endergebnis erhebliche Störungen, völlig andere Organe entstehen. Hatte das Angeborensein, hatte die ständige Neubildung der Natur, gegen die er sich sträubte, nicht darin ihren Ursprung? War nicht er selber nur infolge ähnlicher Zufälligkeiten oder auch

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