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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20
Autoren: Émile Zola
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vollkommener Freude. Er hatte nach seiner Rückkehr aus Paris bis zu dem Tage, da er sich auf die Souleiade zurückzog, kaum ein Dutzend Jahre als Arzt praktiziert. Zufrieden mit den etwa hunderttausend Francs, die er verdient und klug angelegt hatte, widmete er sich fortan fast nur noch seinen Lieblingsstudien, behielt lediglich ein paar Freunde als Patienten, weigerte sich aber auch nicht, einen Krankenbesuch zu machen, ohne jemals seine Rechnung zu schicken. Wenn man ihn bezahlte, warf er das Geld in ein Schubfach seines Sekretärs und betrachtete das als Taschengeld für seine Versuche und seine Launen, als Zuschuß zu seinen Jahreszinsen, mit denen er durchaus auskam. Und er machte sich gar nichts draus, daß er wegen seines Gebarens in dem schlechten Ruf stand, ein Sonderling zu sein, er war glücklich nur bei seinen Forschungen über Probleme, die ihn leidenschaftlich interessierten. Für viele war es eine Überraschung, daß dieser Wissenschaftler mit seinen genialen Gaben, denen nur eine zu lebhafte Phantasie Abbruch tat, in Plassans geblieben war, in dieser entlegenen Stadt, die ihm nicht einmal das notwendige Arbeitsmaterial zu bieten schien. Aber er wußte zu erklären, welche Annehmlichkeiten er dort entdeckt hatte: zunächst einmal Zurückgezogenheit, verbunden mit großer Ruhe, und dann bot sich ihm in diesem Provinzwinkel, wo er jede Familie kannte, wo er die geheimgehaltenen Phänomene durch zwei oder drei Generationen verfolgen konnte, ein ungeahntes Betätigungsfeld für sein Lieblingsstudium, die ständigen Untersuchungen vom Gesichtspunkt der durch die Vererbung gegebenen Fakten aus. Andererseits wohnte er hier nahe am Meer, er verbrachte fast jeden Sommer am Meer, um in der Tiefe der weiten Wasser das Leben zu studieren, das unendliche Gewimmel, in dem es entsteht und sich fortpflanzt. Und schließlich gab es im Krankenhaus von Plassans einen Seziersaal, den er fast als einziger benutzte, einen großen, hellen und ruhigen Saal, in dem seit mehr als zwanzig Jahren alle Leichen, auf die niemand Anspruch erhob, unter sein Skalpell gekommen waren. Da er übrigens sehr bescheiden und lange Zeit hindurch von einer menschenscheuen Schüchternheit war, hatte er sich damit begnügt, mit seinen alten Professoren und einigen neuen Freunden einen Briefwechsel über sehr bemerkenswerte Denkschriften zu unterhalten, die er gelegentlich bei der Medizinischen Akademie einreichte. Jeder streitbare Ehrgeiz ging ihm ab.
    Anfangs waren es Arbeiten über die Schwangerschaft, die Doktor Pascal dazu bewogen, sich besonders mit den Gesetzen der Vererbung zu befassen. Wie immer hatte auch hier der Zufall seine Hand im Spiel, der ihm eine ganze Reihe von Leichen schwangerer Frauen lieferte, die während einer Choleraepidemie gestorben waren. Später hatte er bei jedem Todesfall achtgegeben und so die Reihe ergänzt und die Lücken ausgefüllt, um endlich die Entstehung des Embryos und dann die Entwicklung des Fötus an jedem Tage seines Lebens im Mutterleib kennenzulernen; und er hatte so ein Verzeichnis der klarsten, der entscheidendsten Forschungsergebnisse aufgestellt. Von diesem Zeitpunkt an stellte sich ihm die Frage nach dem erregenden Geheimnis der Empfängnis, mit der alles beginnt. Warum und wieso ein neues Wesen? Welches waren die Gesetze des Lebens, dieses reißenden Stroms von Wesen, die die Welt ausmachten? Er ließ es nicht bei den Leichen bewenden, er dehnte seine Sezierungen auf die lebende Menschheit aus, weil er verblüfft war über gewisse feststehende Fakten bei seinen Patienten; und er unterzog vor allem seine eigene Familie, die sein wichtigstes Experimentierfeld geworden war, weil sich in ihr die Fälle so genau und so vollständig darstellten, einer sorgfältigen Beobachtung. Von da an hatte er in dem Maße, wie sich die Fakten häuften und in seine Aufzeichnungen einordnen ließen, eine allgemeine Theorie der Vererbung aufzustellen versucht, die ausreichen könnte, alle diese Fakten zu erklären.
    Ein schwieriges Problem, um dessen Lösung er sich seit Jahren bemühte. Er war ausgegangen vom Prinzip der Erfindung und vom Prinzip der Nachahmung: Vererbung oder Fortpflanzung von Lebewesen unter der Herrschaft der Konstanz, Angeborensein oder Fortpflanzung von Lebewesen unter der Herrschaft der Veränderlichkeit. Bei der Vererbung hatte er nur vier Fälle gelten lassen: die direkte Vererbung, bei der Eigenschaften des Vaters und der Mutter in der physischen und psychischen Natur des Kindes
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