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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20
Autoren: Émile Zola
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schönen jungen Zähnen ungeduldig in das Brötchen.
    Ein köstlicher Schlupfwinkel war diese alte Kreuzpflanzung von Platanen, noch ein Überbleibsel des vergangenen Glanzes der Souleiade. Unter diesen Riesen mit den ungeheuren Stämmen war es nie richtig hell, an brennendheißen Sommertagen herrschte hier ein grünliches Licht von köstlicher Kühle. Einst war hier ein französischer Garten gewesen, von dem jetzt nur noch die Buchsbaumeinfassungen übrig waren, die sich sicher an diesen Schatten gewöhnt hatten, denn sie waren kräftig gewachsen und groß wie Sträucher. Und den Zauber dieses so schattigen Winkels machte ein Brunnen aus, ein einfaches Bleirohr, das man in den Schaft einer Säule eingelassen hatte und aus dem sogar während der größten Trockenheit unaufhörlich ein Rinnsal von der Dicke des kleinen Fingers floß. Ein Stück weiter speiste dieses Rinnsal ein breites moosiges Becken, dessen grünüberzogene Steine nur alle drei oder vier Jahre gesäubert wurden. Wenn alle Ziehbrunnen in der Nachbarschaft versiegten, behielt die Souleiade ihre Quelle, deren hundertjährige Kinder gewiß die großen Platanen waren. Seit Jahrhunderten sang dieses immer gleiche und stetige dünne Rinnsal Tag und Nacht dasselbe reine Lied mit kristallenen Schwingungen.
    Nachdem Clotilde zwischen den Buchsbaumbüschen, die ihr bis zur Schulter reichten, umhergeirrt war, ging sie ins Haus zurück, um eine Stickerei zu holen, und setzte sich dann an einen steinernen Tisch neben dem Brunnen. Man hatte dort ein paar Gartenstühle hingestellt und pflegte an dieser Stelle den Kaffee zu trinken. Und sie blickte nun absichtlich nicht mehr auf, als wäre sie ganz in ihre Arbeit versunken. Von Zeit zu Zeit schien sie jedoch einen kurzen Blick zwischen den Stämmen der Bäume hindurch in die glühenden Fernen zu werfen, zu der wie ein Glutofen blendenden Tenne, auf der die Sonne brannte. Aber in Wirklichkeit glitt ihr Blick hinter ihren langen Wimpern hervor zu den Fenstern des Doktors hoch. Nichts zeigte sich dort, nicht ein Schatten. Und in ihr wuchsen die Traurigkeit, der Groll, daß er sie so vernachlässigte und so geringschätzig behandelte nach ihrem gestrigen Streit. Dabei war sie mit einem so großen Verlangen, sofort Frieden zu schließen, aufgestanden! Er hatte es also nicht eilig, er liebte sie also nicht, wenn es ihm nichts ausmachte, daß sie miteinander böse waren? Und allmählich wurde sie mißmutig, sie dachte wieder daran, den Kampf fortzuführen, und sie war von neuem entschlossen, in nichts nachzugeben.
    Gegen elf Uhr kam Martine, bevor sie das Mittagessen aufs Feuer stellte, zu Clotilde heraus, mit dem ewigen Strumpf, an dem sie sogar im Gehen strickte, wenn sie im Haus nichts zu tun hatte.
    »Wissen Sie, daß er immer noch wie ein Wolf da oben eingesperrt ist und sein komisches Zeug zusammenbraut?«
    Clotilde zuckte die Achseln, ohne die Augen von ihrer Stickerei zu heben.
    »Und wenn ich Ihnen sagen würde, Mademoiselle, was man sich so erzählt! Madame Félicité hatte gestern ganz recht, als sie sagte, daß es wahrhaftig Grund gibt, schamrot zu werden … Mir hat man˜s ins Gesicht geschleudert, mir, die ich hier zu Ihnen spreche, daß er schuld ist am Tode des alten Boutin, Sie entsinnen sich doch, dieses armen Alten, der an Fallsucht litt und der auf einer Landstraße gestorben ist.«
    Schweigen trat ein. Als Martine dann sah, wie sich das Gesicht des jungen Mädchens noch mehr verdüsterte, beschleunigte sie die rasche Bewegung ihrer Finger und fuhr fort:
    »Ich verstehe ja nichts davon, aber das bringt mich in Wut, was er da herstellt … Und Sie, Mademoiselle, billigen Sie denn, was er da zusammenbraut?«
    Jäh blickte Clotilde auf und ließ sich von der Woge der Leidenschaft überwältigen, die sie hinwegriß.
    »Hör zu, ich will davon nicht mehr verstehen als du, aber ich glaube, daß er sehr großen Sorgen entgegengeht … Er liebt uns nicht …«
    »O doch, Mademoiselle, er liebt uns!«
    »Nein, nein, nicht so, wie wir ihn lieben! Wenn er uns liebte, dann wäre er hier bei uns, anstatt sich da oben um sein Seelenheil, um sein Glück und um unser Glück zu bringen, weil er durchaus die Welt retten will!«
    Und die beiden Frauen schauten einander in ihrem eifersüchtigen Zorn eine Weile an, mit Augen, die vor zärtlicher Liebe brannten. Sie machten sich wieder an die Arbeit und sprachen kein Wort mehr, in Schatten getaucht.
    Oben in seinem Zimmer arbeitete Doktor Pascal mit der gelassenen Heiterkeit
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