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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20
Autoren: Émile Zola
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machen, nahm diese vom Garderobenständer im Hausflur einen Sonnenschirm und ging aus dem Haus, um ihr Brötchen draußen zu essen. Sie war ganz verzweifelt, weil sie nicht mehr wußte, womit sie bis Mittag ihre Zeit verbringen sollte.
    Vor ungefähr siebzehn Jahren hatte Doktor Pascal die Souleiade für etwa zwanzigtausend Francs gekauft, nachdem er sich entschlossen hatte, sein Haus in der Neustadt aufzugeben. Es war sein Wunsch, sich etwas abseits niederzulassen und außerdem der kleinen Clotilde, die ihm ihr Bruder aus Paris geschickt hatte, mehr Platz und mehr Freude zu geben. Die Souleiade, hier vor den Toren der Stadt auf einer erhöhten Fläche gelegen, von der aus man die Ebene überschaute, war ehemals ein ansehnliches Besitztum gewesen, dessen weitläufige Ländereien inzwischen auf weniger als zwei Hektar zusammengeschrumpft waren, weil man nach und nach sehr viel verkauft und weil der Bau der Eisenbahn die letzten Äcker verschlungen hatte. Das Haus selber war durch eine Feuersbrunst zur Hälfte zerstört worden. Es stand nur noch einer der beiden Flügel des Gebäudes, ein mit dicken rosa Dachziegeln gedeckter quadratischer Bau aus vier »Mauerfeldern«, wie man in der Provence sagt, mit fünf Fenstern an jeder Seite. Und der Doktor, der es samt Einrichtung gekauft hatte, hatte nur die Einfriedungsmauern ausbessern und ergänzen lassen, um daheim seine Ruhe zu haben.
    Gewöhnlich liebte Clotilde diese Einsamkeit leidenschaftlich, dieses kleine Reich, das sie in zehn Minuten besichtigen konnte und das dennoch Eckchen aufwies, die an seine vergangene Herrlichkeit gemahnten. Aber an diesem Morgen trug sie einen dumpfen Zorn mit sich herum. Einen Augenblick lang erging sie sich auf der Terrasse, an deren beiden Enden hundertjährige Zypressen standen, zwei riesige düstere Kerzen, die drei Meilen weit zu sehen waren. Dann fiel das Gelände ab bis zur Eisenbahn, mörtellos gefügte Steinmauern gaben den roten Äckern Halt, wo die letzten Rebstöcke eingegangen waren, so daß auf diesen Äckern, die wie riesige Treppen aussahen, nur noch kümmerliche Reihen von Öl und Mandelbäumen mit dürren Blättern wuchsen. Die Hitze war bereits erdrückend, Clotilde betrachtete die kleinen Eidechsen, die über die locker gewordenen Platten huschten und zwischen die dichtbelaubten Kapernsträucher flüchteten.
    Wie erbost über den weiten Horizont, durchquerte sie dann den Obstgarten und den Gemüsegarten, den Martine trotz ihres Alters eigensinnig selber pflegte und in den sie nur zweimal in der Woche einen Mann für die schweren Arbeiten kommen ließ; sie ging nach rechts hinauf in einen Pinienhain, ein kleines Gehölz, alles, was übriggeblieben war von den herrlichen Pinien, die einstmals auf diesem Plateau standen. Aber auch dort fühlte sie sich unbehaglich: die trockenen Nadeln knisterten unter ihren Füßen, erstickend kam harziger Duft von den Zweigen herab. Und sie eilte an der Einfriedungsmauer entlang, ging an der Eingangspforte vorbei, die, fünf Minuten von den ersten Häusern von Plassans entfernt, auf den Weg nach Les Fenouillères führte, und kam schließlich bei der Tenne heraus, einer ungeheuren Tenne von zwanzig Meter Durchmesser, die allein schon zur Genüge bewies, wie bedeutend dieses Besitztum einst gewesen war. Ach, diese uralte, wie zur Römerzeit mit runden Kieselsteinen gepflasterte Tenne, die wie ein weites Festungsglacis aussah, das kurzes, trockenes, wie Gold wirkendes Gras mit einem dicken Wollteppich zu bedecken schien. Welch schöne Spaziergänge hatte sie früher hierher unternommen, um zu rennen, um sich im Grase zu wälzen, um stundenlang auf dem Rücken ausgestreckt dazuliegen, wenn an dem grenzenlosen Himmel die Sterne aufgingen.
    Sie hatte wieder ihren Sonnenschirm aufgespannt, sie ging langsam über die Tenne. Nun befand sie sich links von der Terrasse, sie hatte den Rundgang um das Besitztum vollendet. Deshalb kehrte sie wieder hinter das Haus zurück unter die Gruppe riesiger Platanen, die hier dichten Schatten spendeten. Nach dieser Seite zu lagen auch die beiden Fenster vom Zimmer des Doktors. Und sie schaute hoch, denn sie war nur in der jähen Hoffnung näher getreten, ihn endlich zu sehen. Aber die Fenster blieben geschlossen, und sie fühlte sich dadurch gekränkt, wie wenn sie lieblos behandelt worden wäre. Da erst merkte sie, daß sie immer noch ihr Brötchen in der Hand hielt und ganz vergessen hatte, es zu essen; und sie ging unter die Bäume und biß mit ihren
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