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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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durch die Auswirkung der verdeckten Vererbung, an die er eine Weile geglaubt hatte, so anders als seine Eltern? Denn jeder Stammbaum hat Wurzeln, die in die Tiefe der Menschheit hinabreichen bis zum ersten Menschen; man kann nicht von einem einzigen Vorfahren ausgehen, es gibt stets einen noch älteren, unbekannten Vorfahren, dem man ähneln kann. Dennoch zweifelte er am Atavismus21; trotz eines einzigartigen, seiner eigenen Familie entnommenen Beispiels war er der Meinung, daß die Ähnlichkeit nach zwei oder drei Generationen auf Grund von Zufälligkeiten, von Einschaltungen, von tausend möglichen Kombinationen untergehen muß. Es gab da also ein ewiges Werden, einen ständigen Wandel in diesem weitergegebenen Streben, dieser übermittelten Gewalt, dieser Erschütterung, die der Materie Leben einhaucht und die das Leben ist. Und vielfältige Fragen tauchten auf. Gab es einen physischen und intellektuellen Fortschritt im Verlauf der Zeitalter? Erweiterte sich das Gehirn bei der Berührung mit der fortschreitenden Wissenschaft? Durfte man mit der Zeit eine größere Summe von Vernunft und Glück erhoffen? Außerdem waren da besondere Probleme, unter anderem eines, dessen Geheimnis ihn lange reizte: Wie kam es, daß in dem einen Fall ein Junge, in dem anderen ein Mädchen gezeugt wurde? Würde es niemals gelingen, das Geschlecht wissenschaftlich vorherzubestimmen oder zumindest zu erklären? Er hatte über dieses Problem eine sehr interessante Denkschrift verfaßt, die mit Fakten vollgestopft war, zum Schluß aber alles in allem feststellen mußte, daß er hierüber trotz der hartnäckigsten Forschungen völlig im unklaren geblieben war. Ohne Zweifel beschäftigte er sich nur deshalb so leidenschaftlich mit der Vererbung, weil sie voll Dunkel war, grenzenlos und unergründlich wie alle Wissenschaften, die noch in den Kinderschuhen stecken und bei denen die Phantasie noch alles beherrscht. Seine lange Untersuchung über die Vererbung der Schwindsucht hatte den schwankenden Glauben des heilkundigen Arztes in ihm wiedererweckt und ihn in die edle und irre Hoffnung verfallen lassen, die Menschheit regenerieren zu können.
    Alles in allem hatte Doktor Pascal nur einen Glauben, den Glauben an das Leben. Das Leben war die einzige Offenbarung Gottes. Das Leben war Gott, die große Triebkraft, die Seele des Alls. Und das Leben hatte kein anderes Werkzeug als die Vererbung; die Vererbung formte die Welt, so daß sich die Welt nach Belieben einrichten ließe, wenn man nur die Gesetze der Vererbung erkennen und erfassen könnte, um sie anzuwenden. Pascal, der die Krankheit, das Leiden und den Tod aus der Nähe gesehen hatte, fühlte das kämpferische Mitleid des Arztes in sich. Ach, nicht mehr krank sein, nicht mehr leiden, sowenig wie möglich sterben! Sein Traum lief auf den Gedanken hinaus, daß man das universelle Glück, das künftige Reich der Vollkommenheit und der Glückseligkeit beschleunigt herbeiführen könnte, wenn man helfend eingriffe und allen Gesundheit verliehe. Wenn alle gesund, stark, verständig wären, würde es nur noch ein hochstehendes, unendlich weises und glückliches Volk geben. Machte man nicht in Indien in sieben Generationen aus einem Sudra22 einen Brahmanen und erhob so wie in einem Experiment den Letzten der Elenden zum vollkommensten menschlichen Typus? Und da er in seiner Untersuchung über die Schwindsucht zu der Schlußfolgerung gelangt war, daß sie an sich nicht erblich sei, daß aber jedes Kind eines Schwindsüchtigen eine entartete Stelle mitbringe, auf der die Schwindsucht sich ungemein leicht entwickelt, dachte er nur noch daran, diese durch die Vererbung geschwächte Stelle zu stärken, um ihr die Kraft zu geben, den Parasiten oder vielmehr den zerstörerischen Gärstoffen Widerstand zu leisten, die er lange vor der Theorie von den Mikroben im Organismus vermutete. Kraft verleihen, darin lag das ganze Problem; und Kraft verleihen, das hieß auch Willen verleihen, das Gehirn erweitern und gleichzeitig die anderen Organe heilen.
    Um diese Zeit las der Doktor ein altes medizinisches Buch aus dem fünfzehnten Jahrhundert, und ein darin beschriebenes Heilverfahren, die sogenannte »Signaturenmedizin«23, beeindruckte ihn tief. Um ein krankes Organ zu heilen, nahm man einfach von einem Hammel oder Ochsen das gleiche gesunde Organ, kochte es und gab den Sud dem Kranken zu trinken. Die Theorie bestand in der Wiederherstellung durch das Ähnliche, und besonders bei Leberkrankheiten, so sagte

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