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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20
Autoren: Émile Zola
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Rente lockte. Im übrigen benahm sie sich jetzt mustergültig, war fett geworden und so gut wie geheilt von einem Husten, der eine mißliche Vererbung hatte befürchten lassen, die einer ganzen Ahnenreihe von Alkoholikern zu verdanken war. Und zwei weitere, in ihrer Ehe geborene Kinder, ein zehnjähriger Junge und ein Mädchen von sieben, dick und rosig, hatten eine prächtige Gesundheit, so daß sie ohne den Verdruß, den Charles ihr in ihrer Ehe bereitete, die geachtetste und glücklichste Frau hätte sein können. Trotz der Rente verabscheute Thomas diesen Sohn eines anderen und stieß ihn herum, worunter die Mutter als unterwürfige, schweigsame Ehefrau im geheimen litt. Daher hätte sie ihn, obwohl sie ihn abgöttisch liebte, gern der Familie des Vaters zurückgegeben.
    Mit fünfzehn Jahren sah Charles wie kaum zwölf aus, und er war nicht über den stammelnden Verstand eines fünfjährigen Kindes hinausgekommen. Er sah seiner Ururgroßmutter, Tante Dide, der Irren von Les Tulettes, ungewöhnlich ähnlich, und in seiner schlanken, zierlichen Anmut glich er einem jener blutlosen kleinen Könige, die das letzte Glied einer langen Ahnenreihe bilden, gekrönt mit seidenleichtem, fahlem langem Haar. Seine großen hellen Augen blickten leer, über seiner beunruhigenden Schönheit lag ein Schatten des Todes. Ohne Verstand und ohne Herz, war er nichts als ein lasterhafter kleiner Hund, der sich an den Leuten rieb, um sich einzuschmeicheln. Seine Urgroßmutter Félicité, von seiner Schönheit geblendet, in der sie ihr Blut wiederzuerkennen vorgab, hatte ihn zunächst aufs Gymnasium geschickt und die Sorge für ihn übernommen; doch er hatte es nach einem halben Jahr so weit gebracht, daß man ihn unaussprechlicher Laster beschuldigte und davonjagte. Dreimal war sie hartnäckig geblieben, hatte ihn in ein anderes Pensionat gesteckt, was immer wieder mit derselben schimpflichen Verweisung endete. Da er absolut nichts lernen wollte noch konnte und da er alles verderblich beeinflußte, hatte man ihn schließlich behalten müssen und in der Familie vom einen zum anderen weitergereicht. Doktor Pascal, der, von Mitleid bewegt, eine Heilung für möglich hielt, hatte diese aussichtslose Kur erst aufgegeben, nachdem er ihn fast ein Jahr lang bei sich gehabt hatte und ob des Kontaktes um Clotilde besorgt war. Und jetzt fand man Charles, wenn er nicht bei seiner Mutter war, die ihn kaum noch behielt, bei Félicité oder bei einem anderen Verwandten, kokett gekleidet, mit Spielzeug überschüttet, als verweichlichter kleiner Thronfolger eines verfallenen alten Geschlechtes lebend.
    Indessen litt die alte Frau Rougon unter diesem Bastard mit dem königlichen Blondhaar, und sie hatte den Plan, ihn dem Geschwätz von Plassans zu entziehen, indem sie Maxime bestimmen wollte, ihn mit nach Paris zu nehmen und bei sich zu behalten. Damit wäre wieder eine häßliche Geschichte der Familie ausgelöscht. Aber lange Zeit hatte Maxime sich taub gestellt, von der ständigen Angst verfolgt, sein Leben zu verderben. Seit dem Tode seiner Frau ein reicher Mann, war er nach dem Kriege zurückgekehrt, um brav und sittsam in seinem Stadthaus in der Avenue du BoisdeBoulogne sein Vermögen zu verzehren. Nachdem er von seinen verfrühten Ausschweifungen eine heilsame Furcht vor der Sinnenlust zurückbehalten hatte, war er vor allem entschlossen, Aufregungen und jegliche Verantwortung zu fliehen, um so lange wie möglich zu leben. Heftige Schmerzen in den Füßen, Rheumatismus, wie er glaubte, plagten ihn seit einiger Zeit; er sah sich schon gelähmt, an einen Lehnstuhl gefesselt, und seines Vaters plötzliche Rückkehr nach Frankreich, die neue Regsamkeit, die Saccard entfaltete, hatten ihn vollends in Schrecken versetzt. Er kannte diesen Millionenfresser nur zu gut; er zitterte, da er ihn mit dem freundschaftlichen Grinsen eines Biedermannes wieder um sich bemüht sah. Würde er nicht auch geschluckt werden, wenn er Saccard eines Tages ausgeliefert wäre, gefesselt durch die Schmerzen, die seine Beine befielen? Und er bekam eine solche Angst vor der Einsamkeit, daß er schließlich dem Gedanken nachgab, seinen Sohn wiederzusehen. Wenn der Kleine ihm sanft, verständig und gesund erschien, warum sollte er ihn dann nicht zu sich nehmen? Er hätte in ihm einen Gefährten, einen Erben, der ihn vor den Unternehmungen seines Vaters schützen würde. In seinem Egoismus sah er sich schließlich geliebt, verwöhnt und verteidigt; aber vielleicht hätte er eine
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